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Treffen mit Whistleblower Snowden: Hans-Christian Ströbele, der Briefträger im NSA-Skandal

Ein gesunder junger Mann. Sehr ernst. So beschreibt Hans-Christian Ströbele den nach Moskau geflüchteten Whistleblower. Und alle lauschen dem Grünen gebannt. Von der Inszenierung eines politischen Scoops.

Man kann schon sagen, dass Hans-Christian Ströbele den US-Geheimdienst ständig im Blick hat. Zumindest nähert er sich jeden Tag bis auf wenige Meter dem Ort, wo die Abhörstation der NSA sein soll. Mit seinem alten, klapprigen Rad kommt er auf dem Weg zu seinem Büro täglich an der US-Botschaft am Pariser Platz vorbei. Im obersten, fensterlosen Geschoss, so heißt es auf Grundlage ausgewerteter Wärmebildaufnahmen, sollen die Abhörspezialisten sitzen, die das politische Berlin ausgeforscht haben oder es noch tun. An diesem Freitag radelt er wieder dort vorbei, nur was er da in seinem grünen Beutel hat, das dürfte die Spione interessieren. Vielleicht wissen sie es auch schon, wer weiß das heutzutage.

Ströbele parkt sein Rad vor dem Haus der Bundespressekonferenz und kramt aus seinem Beutel einen Brief, der die Unterschrift von Edward Snowden trägt. Es ist der Mann, der die Welt – zumindest die geheimdienstliche, die politische, und die diplomatische – seit seinen Enthüllungen über die Abhörpraxis des amerikanischen Geheimdienstes NSA in Atem hält. Und er, Hans-Christian Ströbele, 74 Jahre alt, Grüner, Berliner, Kreuzberger, hat diesen Mann in Moskau getroffen. So wie er das von Anfang an geplant hatte.

„Ich werde zu Snowden nach Moskau fahren, um zu erfahren, was er an Material über die Ausforschung in Deutschland hat“, kündigte Ströbele bereits Anfang Juli Journalisten an. Sein Parteifreund Wolfgang Wieland, ehemaliger Berliner Justizsenator und gerade ausgeschiedener Bundestagsabgeordneter, war ebenfalls einbezogen. Schon im August habe man kurz vor einem Flug nach Moskau gestanden, ist zu hören. Dann aber „war der Kontakt plötzlich weg“, sagt der Bundestagsabgeordnete, der seinen Kreuzberger Wahlkreis viermal hintereinander als Direktkandidat gewonnen hat. Bis es jetzt eben doch „über andere Wege“ geklappt habe. Mehr will Ströbele dazu nicht sagen, er wird schmallippig.

Wenn man mit dem streitbaren und als extrem hartnäckig bekannten Ströbele telefoniert, benutzt er sein iPhone – und kein Kryptohandy. Er geht ohnehin davon aus, dass er abgehört wird. „Warum soll ich es den Geheimdiensten so schwer machen“, scherzt er über die Frage, warum er sich nicht besser absichert. Auch in Moskau hatte er das Handy dabei, musste es aber zusammen mit allen anderen elektronischen Geräten während des Treffens mit Edward Snowden im Hotelsafe lassen.

CNN erklärt Ströbele kurzerhand zum Außenminister

Seit 1999 ist Ströbele bereits Mitglied im Geheimdienstausschuss, einer der erfahrensten Parlamentarier in dem Gremium, wo vieles besprochen wird, was die Öffentlichkeit nie erfährt. Selbst gegenüber seinem eigenen Fraktionsvorsitzenden ist Ströbele zur Verschwiegenheit verpflichtet.

Ströbele bahnt sich seinen Weg durch einen riesigen Pulk, vorbei an Kameraleuten und Fotografen. Im großen Saal der Bundespressekonferenz ist kein Platz mehr frei. Kopien des Briefes, adressiert an alle, die es betrifft, machen die Runde. Ströbele hat darauf als Zeuge unterschrieben. Die ersten Fotos werden gemacht und über Twitter in die Welt gejagt. Selbst CNN ist da, nur hat der Nachrichtensender etwas die Orientierung verloren, machten sie doch einen gewissen „Hans-Christian Stroebel“ kurzerhand zum deutschen Außenminister. So weit ist es selbst an diesem Tag noch nicht. Obwohl. Ein bisschen Botschafter ist Ströbele in diesen Stunden schon. Unterwegs in eigenem Auftrag.

Herausgefordert fühlt sich Ströbele insbesondere von Kanzleramtschef Pofalla

Zusammen mit den zwei Journalisten John Goetz, der als investigativer Reporter arbeitet und im Auftrag von „Panorama“ unterwegs war, und mit dem ehemaligen Chefredakteur des „Spiegel“, Georg Mascolo, macht sich Ströbele auf den Weg Richtung Moskau. Sie wohnen in einem Hotel. Mit einem Auto werden sie abgeholt und zu Snowdens Aufenthaltsort gebracht.

Wo der ist? Sagt Ströbele natürlich nicht. Wer das Auto gefahren hat? Auch nicht.

Nur so viel verrät Ströbele: Russische Behörden seien nicht beteiligt gewesen, denen sei er nur bei der Passkontrolle begegnet. Und anders als beim ersten geplanten Besuch habe man darauf verzichtet, die Deutsche Botschaft in Moskau vorab zu kontaktieren. Wo man sich traf, bleibt ein Geheimnis. „Ein repräsentativer Ort“ sei es gewesen, aber mehr Details werden nicht verraten. Das habe man Snowden versprochen, um ihn nicht in Gefahr zu bringen.

Plötzlich klingelt es während der Pressekonferenz laut. Ströbeles Handy. Die NSA? Die würde nicht anrufen, nur mithören. „Kennt jemand die Nummer der Kanzlerin“, fragt Ströbele grinsend. Eine Antwort erhält er nicht. Aber es würde keinen Unterschied machen. „Ich habe ihre Nummer nicht, aber ich würde ihr auch nichts anderes erzählen, bei allem notwendigen Respekt.“

Ströbele genießt die volle Aufmerksamkeit, ihm ist ein echter Scoop gelungen. Sogar einen Dienstreiseantrag habe er beim Bundestagspräsidenten für den Snowden-Besuch gestellt, der sei aber abgelehnt worden. Rund drei Stunden hat Ströbele nach eigener Aussage mit Snowden zusammengesessen. Es gab Obst, Wasser und Tee für Ströbele. Man habe offen, ehrlich und auch kontrovers diskutiert. Snowden habe er als „kerngesunden, aufgeschlossenen, sympathischen jungen Mann“ wahrgenommen; nicht als niedergeschlagen oder eher depressiv, wie er angenommen hatte. Ob er auch mal in Moskau shoppen gehe, wollte er von Snowden wissen. „Seine Antwort war ja.“

Ströbele formulierte praktisch im Alleingang die Position der Grünen zum NSA-Skandal

Es ist ein kalkulierter Paukenschlag, den Ströbele gelandet hat. Dazu gehört auch das Foto aus Moskau, das er sofort nach dem Treffen auf seine eigene Webseite stellte. Hier der etwas verschüchtert wirkende Snowden, dort der sehr befriedigt dreinschauende Ströbele. Es ist auch ein Dokument der Genugtuung. Schon vor Monaten hatte er Zeugenschutz für den Whistleblower gefordert, damit der vor dem Bundestag aussagen kann. Dabei weiß Ströbele genau, dass dies unrealistisch ist. Die im vergangenen Juli zur Landung in Wien gezwungene Maschine des bolivianischen Präsidenten ist unvergessen. Damals hatten die USA vermutet, der Präsident habe auf dem Rückflug von seinem Moskaubesuch den NSA-Enthüller mit an Bord.

Herausgefordert fühlt sich Ströbele insbesondere von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla. Der hatte den NSA-Skandal vorschnell für erledigt erklärt, um das Thema aus dem Bundestagswahlkampf herauszuhalten, während die Opposition sich im geheimen Kontrollgremium noch abmühte, Licht in den Umfang der Ausspitzelung zu bringen. „Wenn wir uns viermal zu Prism getroffen haben und keine Information erhalten und nichts Neues erfahren haben“, grollte Ströbele im Sommer, „dann müssen wir uns auch nicht treffen.“ Wochenlang war es Ströbele, der zum NSA-Skandal praktisch im Alleingang die Position der Grünen formulierte und schon frühzeitig forderte, Angela Merkel solle vor dem Geheimdienstausschuss erscheinen.

Snowden habe „erstaunlich entspannt“ gewirkt

Selbst in den Zeiten, als Ströbele nach einer im Sommer 2012 festgestellten Krebserkrankung um seine Gesundheit kämpfte und von der Chemotherapie geschwächt war, hat er keine einzige Sitzung des Geheimdienstausschusses versäumt. Schließlich haben die Grünen nur einen Sitz in dem elfköpfigen Gremium – und selbst bei Krankheit ist kein Stellvertreter erlaubt. Der Ausschuss forderte seine ganze Kraft; die Kraft eines vom Ringen gegen unkontrolliert wirkende Geheimdienste Getriebenen. Und eines Enttäuschten. Von Präsident Barack Obama Enttäuschten, wie er unlängst eingestand. Der sei sein „großer Hoffnungsträger“ gewesen, als er 2008 als Präsidentschaftskandidat mit seiner Rede an der Berliner Siegessäule auch Ströbele begeistert hatte. Nun erfülle ihn „Trauer wegen so vieler enttäuschter Erwartungen“.

Angelegt hat sich Ströbele immer wieder mit dem politischen Gegner – und auch mit seiner eigenen Partei. Das Direktmandat gebe ihm „die Freiheit, das grüne Gewissen“ zu sein, sagte er im Sommer, als er erneut um den Einzug in den Bundestag kämpfte; ohne Rücksicht auf Kompromisse und taktische Positionen. Und wenn es ihm angemessen schien, hat er sich in den vergangenen Jahren auch einer Fraktionsdisziplin widersetzt – etwa beim Atomausstiegsgesetz der CDU/FDP-Koalition, dem die Grünen im Bundestag zustimmten. Ströbele dagegen war für eine noch schnellere Abschaltung der Atommeiler.

Unvergessen ist sein unnachgiebiges Nachbohren, als es um die Jahrtausendwende in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss um die Verstrickung des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl in illegale Parteispenden ging. „Ich habe noch viel zu tun“, begründete Ströbele, warum er mit 74 Jahren noch einmal in den den Bundestag drängt.

Die Inszenierung des Treffens mit Snowden war filmreif

Dass ausgerechnet der Journalist Mascolo zu der Reisegruppe gehörte, mag auf den ersten Blick verwundern. Schließlich musste Mascolo im April als Chefredakteur des „Spiegel“ gehen, seither ist er keinem deutschen Medium mehr fest verbunden. Doch durch seine Zeit als Korrespondent in Washington ist er USA-Experte, dazu hat er sich als investigativer Rechercheur einen Namen gemacht. Derzeit forscht er am Weatherhead Center in Harvard zu Internationalen Beziehungen. „Ich war neugierig auf Snowden. Was weiß er, wie ist er als Mensch, was hat ihn zum Whistleblower werden lassen“, sagt Mascolo. Während des Gesprächs habe Snowden „erstaunlich entspannt“ gewirkt. Russische Geheimdienstmitarbeiter oder Vertreter von anderer staatlicher Stelle seien nicht im Raum gewesen.

Filmreif war die Inszenierung des Treffens dennoch. Vor allem Ströbele konnte am Tag nach der Rückkehr punkten. So sehr, dass es einigen schon wieder verdächtig ist. Ströbele genießt seinen Auftritt in vollen Zügen. Man fragt sich schon, wie viel Aufklärung in der Aktion steckt und wie viel PR. „Ich würde Ströbele hier keine PR-Aktion unterstellen. Es ging darum zu erfahren, ob Snowden sein Wissen einem deutschen Staatsanwalt oder einem Untersuchungsausschuss zugänglich macht“, sagt Mascolo. Die Chance, dass Snowden selbst nach Deutschland kommen und aussagen wird, beurteilt er skeptisch. „Aus amerikanischer Sicht wäre dies ein ungeheurer Affront.“

Mit dieser Frage hält sich Hans-Christian Ströbele am Freitag nicht weiter auf. Er verweist auf Ausnahmen im Strafrecht, die es auch in den USA gebe. Ströbele gibt sich außerordentlich geduldig. Er antwortet den englischen Journalisten genauso wie den spanischen und italienischen. Auch die Russen werden gleich noch zum Interview in seinem Büro vorbeikommen. Also schwingt er sich wieder auf sein Rad. „Ich bin ein Entscheidungsträger“, steht auf seinem grünen Beutel.

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