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Trend: Bedürfnis Berühmtheit

Nicht nur der Amokläufer will jemand sein, Selbstdarstellung ist der Trend unserer Zeit. Sie isei nicht nur selbstverständlich, sie sei eine Notwendigkeit, sagt Medienforscher Bernd Schorb.

Die schönste Kirche der Antike wurde zerstört, weil ein Hirte berühmt werden wollte. Um für immer in die Geschichte einzugehen, zündete Herostrat den Tempel der Artemis in Ephesos an, der als eines der Sieben Weltwunder galt. Er schreckte weder vor Todesstrafe noch vor Hass seiner Mitmenschen zurück, so stark war seine Geltungssucht. Herostrat wurde zwar zum Verbrecher, doch er war endlich wer.

Heute, 2000 Jahre später, ist der Amoklauf vielleicht die allerletzte, furchtbarste Konsequenz aus der Sorge heraus, niemand oder nichts zu sein. Dabei ist es längst Alltag für Jugendliche sich zu exponieren. Und dafür spielen die neuen Medien eine entscheidende Rolle.

„Heute ist Selbstdarstellung nicht nur selbstverständlich“, sagt der Medienforscher Bernd Schorb. „Sie ist eine Notwendigkeit.“ In einer Studie untersuchte Schorb, wie Jugendliche Videoplattformen nutzen. Seine Erkenntnis: 98 Prozent aller jungen User schauen sich Kurzfilmchen auf Seiten wie „youtube“ und „myvideo“ an, knapp die Hälfte von ihnen lädt auch selbst Videos hoch. Meistens sind es eigenproduzierte Clips über Aktionen mit Freunden und Videos, in denen sie sich mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten präsentieren. Manche Jugendliche wollen dadurch nur mit ihren Freunden kommunizieren, sind sich aber der Gefahr oftmals nicht bewusst, dass sie Millionen unerwünschte Zuschauer haben. Andere sind aber auf Ruhm aus und hoffen auf ein möglichst großes Publikum – manche von ihnen auch auf ein Publikum um jeden Preis. Zuweilen gilt dabei: „Lieber eine schlechte Präsenz als keine Präsenz“, sagt Schorb. Einige machten sich absichtlich lächerlich, damit ihre Beiträge möglichst viele Klicks bekommen.

Den Forscher wundert das nicht: In einer Gesellschaft, in der das Ego den größten Platz einnehme, werde Selbstdarstellung als Wert vermittelt. Social Communities wie StudiVZ lieferten Vorlagen, anhand deren man sich im Internet zeigen kann. Wer mit Gleichaltrigen kommunizieren will, müsse die Spielregeln befolgen. Die Jugendlichen seien also geübter, wenn es darum geht, sich medial zu präsentieren. Dazu tragen auch die neuen technischen Möglichkeiten bei: Noch nie zuvor hat es so viele Plattformen für Selbstdarstellung gegeben, noch nie hatten Jugendliche so einfachen Zugang zu Kameras und Fotoapparaten, sagt der Medianpädagoge Karl-Heinz Renner. 

Wenn man sich Interviews mit den Jugendlichen aus Winnenden anguckt, ist diese These anscheinend plausibel. Natürlich übt die Presse Druck auf die jungen Menschen aus. Trotzdem sprechen manche freiwillig und ohne zu stammeln professionell in die Kamera. „Jugendliche wachsen in einer Medienwelt auf“, sagt Medienforscher Schrob. „Also nehmen sie deren Ausdrucksweisen an.“ Auch fördern Medien den Trend, private Sachen in die Öffentlichkeit zu tragen: Realityshows und Sendungen, in denen sich Laien aus freien Stücken bloßstellen lassen oder Intimes erzählen, erweckten den Anschein, dass Bekanntheit ein Wert an sich ist. Berühmtheit wird zum Bedürfnis.

Schrob glaubt nicht, dass diese Entwicklung die direkte Ursache für Winnenden sei. Der Medienpädagoge kann sich jedoch vorstellen, dass Tim K. sich das Modell Amoklauf in den Medien abgeschaut hat und es als Vorlage benutzte, möglichst wirkungsvoll aus der Welt zu scheiden. Man müsse mit seinen Behauptungen jedoch vorsichtig sein: „Tim K. war vielleicht psychisch krank.“ Wenn es keine Medien gäbe, wäre ihm dann nichts eingefallen? Herostrat hat es schon vor den Massenmedien gegeben.

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