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Politik: Treu bis zum Umfallen

Nach zwölf Jahren großer Koalition in Bremen schielt die SPD zu den Grünen

Von Carsten Werner

Ob der „Ausnahmefall der Demokratie“ in Bremen nach zwölf Jahren Treue in die nächste Runde geht,ist für die Bremer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf neue Sanierungshilfen und den Wunsch nach einer Neuregelung des Länderfinanzausgleichs wahrscheinlich egal. Im Bundesrat würde ohne eine Fortsetzung der Bremer Vernunftehe die für Verfassungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit nicht mehr aus den von SPD und CDU allein oder gemeinsam regierten Ländern zusammenkommen, die kleinen Parteien könnten so Druck ausüben. Andererseits würde mancher SPD- Bundespolitiker das lebendige Modell einer rot-grünen Koalition lieber wenigstens in Bremen vor Augen als nur in bundespolitischer Erinnerung haben.

Entscheidend könnte bei der Wahl des Koalitionspartners für Bürgermeister Jens Böhrnsen und seine SPD daher auch sein, ob die Chemie noch stimmt zwischen den treuen Großkoalitionären – oder ob in der Stadt die Lust auf frischen Wind überwiegt. Schließlich sind sich in der Hauptsache alle einig: Es muss weiter gespart werden, wenn Bremen weiter auf Hilfe von Bund und Ländern setzen will.

Karoline Linnert, grüne Fraktionschefin und Spitzenkandidatin, gilt als kompetente Haushaltspolitikerin. Die grüne Opposition hat diverse Schattenhaushalte und schließlich eine Korruptions- und Untreueaffäre bei der Umorganisation der Bremer Krankenhäuser aufgedeckt, bei der ein vorbestrafter Geschäftsführer die Kliniken offenbar um mehr als zehn Millionen Euro schädigte. Dieser Skandal und der Tod des kleinen Kevin beschäftigten bis kurz vor der Wahl zwei Untersuchungsausschüsse. Selbst SPD und CDU bescheinigen den Grünen eine effektive Oppositionsarbeit.

Dabei hielten sich deren profilierteste Köpfe an der Weser im Hintergrund: Der ehemalige Stadtentwicklungssenator Ralf Fücks leitet die parteinahe Böll-Stiftung in Berlin. Marieluise Beck, zuletzt Migrationsbeauftragte der rot-grünen Bundesregierung, sitzt im Bundestag. Die ehemalige Kultursenatorin Helga Trüpel hat sich als Vizevorsitzende des Kulturausschusses im EU-Parlament mit eigenen Veranstaltungen in den Wahlkampf eingemischt. Konzepte für die Zukunft der Stadt, mit denen sie „das Rathaus zum Reformhaus“ machen wollen, konnten die Grünen im Wahlkampf kaum plastisch machen – sie setzen auf Wechsel. Schwarz-Grün ist schon in weite Ferne gerückt, seit der populäre und von den Grünen respektierte Bau- und Umweltsenator Jens Eckhoff Ende 2006 zurücktrat, der beim CDU-Landeschef, Kulturstaatsminister Bernd Neumann, in Ungnade gefallen war. Neumann hat die CDU konsequent verjüngt – aber auch profillos gemacht: Drei um die 40 Jahre junge Senatoren konnten keine eigenen Projekte realisieren und wurden nur als Verwalter älterer Pläne (und so manchen Großflops großkoalitionärer Investitionspolitik) wahrgenommen. Zudem gelang es dem parteilosen Finanzsenator Ulrich Nußbaum, auf SPD-Ticket im Senat, vor allem Wirtschafts- und Kultursenator Jörg Kastendiek als konzeptionslosen, haushaltspolitischen Chaoten aussehen zu lassen.

Dass sich der ehrgeizige CDU-Spitzenkandidat Thomas Röwekamp im Wahlkampf vom Hardliner zum soften Sozialpolitiker gewandelt haben will, sich aber nach ersten schwachen Umfragen über die längst resozialisierte Lehrerin und Ex-RAF-Terroristin Susanne Albrecht empörte, sie „Terroristin“ und ausgerechnet Henning Scherf ihren „Helfershelfer“ nannte – diese Rolle rückwärts kritisierten selbst politische Freunde scharf.

SPD-Spitzenkandidat Jens Böhrnsen, wie Röwekamp echter Bremer, aber 17 Jahre älter, hat es zu einer annähernd großen Beliebtheit wie sein Vorgänger Hennig Scherf gebracht, was selbst die eigene Partei überrascht: Er scheint hanseatisch unaufgeregte Seriosität zu verkörpern und will auch künftig in Ruhe regieren. Im Wahlkampf hat Böhrnsen neue Lehrerstellen versprochen, Röwekamp will mehr Polizisten. Pisa-Schlusslicht Bremen könnte als drittgefährlichste Stadt Deutschlands beides gebrauchen.

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