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Gehen die Juden Europas nun alle nach Israel?

© dpa

Trotz Anschlägen und Terror: Die meisten Juden bleiben in Europa

Nach den Terroranschlägen von Paris und Kopenhagen warnten viele Politiker vor einer jüdischen Auswanderungswelle nach Israel. Doch die Statistik deutet nicht darauf hin, dass die jüdischen Gemeinden wegen Auswanderung schrumpfen.

Nach den Anschlägen auf jüdische Einrichtung in Toulouse 2013, in Paris Ende letzten Jahres und vor kurzem in Kopenhagen ist die Migration jüdischer Europäer nach Israel zum Streitthema geworden. Spätestens nachdem der wahlkämpfende israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Juden Europas nun regelmäßig zur – wie er es formuliert – „Heimkehr“ auffordert. Seine Botschaft: Europa ist nicht sicher für Juden, die einzige Lösung ist Auswanderung. Gibt es nun ein Exodus jüdischer Europäer nach Israel?

Das hebräische Wort Aliyah bedeutet Aufstieg und beschreibt die Rückkehr der Juden aus der Diaspora nach Israel. Das israelische Ministerium für Aliyah und die Aufnahme von Einwanderern führt Statistiken zum Zuzug von Juden aus der ganzen Welt. Aus Deutschland sind demnach im Jahr 2014 genau 136 Juden nach Israel ausgewandert. Die israelische Botschaft in Berlin kann auf Tagesspiegel-Anfrage aber nur den Wegzug von 71 jüdischen Deutschen bestätigen.  

In Frankreich geht es um ganz andere Dimensionen. Das Land hat mit mehr als 600.000 Juden die größte jüdische Bevölkerungsgruppe in Europa. Im vergangenen Jahr sind laut israelischer Regierung exakt 6658 französische Juden nach Israel ausgewandert. Die israelische Botschaft in Paris führt anders als in anderen Ländern dazu keine Statistik. „Für 2015 erwarten wir bis zu 15.000 neue israelische Staatsbürger, die aus Frankreich zu uns kommen“, sagt Avi Mayer, Sprecher der Jewish Agency in Jerusalem. Sie kümmert sich weltweit um die Organisation und um die Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Aliyah. 

„ich glaube nicht an die Zahl 15.000“

Diese und weitere Prognosen zur jüdischen Emigration für die nächsten zwei bis drei Jahre werden in Europa kontrovers diskutiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatspräsident François Hollande und die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt riefen in den letzten Tagen und Wochen die Juden in ihren Ländern mehrfach zum Bleiben auf. Auch viele jüdische Gemeindemitglieder sehen den politischen Aufruf zur Auswanderung kritisch. Rabbiner Margolin ist Vorsitzender der European Jewish Association mit Sitz in Brüssel und der Überzeugung, dass der Aufruf zur Aliyah keine Lösung für das Sicherheitsproblem für die Juden in Europa sein kann. „Die meisten Juden wollen nämlich bleiben“, sagt Margolin, „ich glaube nicht an die Zahl 15.000“.

David Bartram ist Soziologe an der Universität in Leicester. Er beschäftigt sich mit den Migrationsbewegungen von und nach Israel und sieht vor allem ein Problem mit den Prognosen der israelischen Regierung und der Jewish Agency. „Das Potenzial für Aliyah schrumpft in Europa“, erklärt Bartram. Es gebe weniger Juden, die bereit seien auszuwandern. Die Zahl 15.000 für Frankreich fuße nicht auf belastbaren Daten. Auf Nachfrage bezeichnet die Jewish Agency diese öffentlich kommunizierte Größenordnung als „interne Prognose“. Sie orientiere sich am Trend der letzten Jahre, an der Sicherheitslage und an mehr Anfragen, die von der Agentur registriert würden. 

Wie viele Juden wandern von Israel nach Europa?

Es gibt aber auch eine Wanderung in die andere Richtung. Das hebräische Wort Yeridah beschreibt die Auswanderung von israelischen Juden ins Ausland. Während laut Angaben der israelischen Botschaft in Berlin im Jahr 2013 exakt 70 jüdische Deutsche nach Israel ausgewandert sind, verbucht das Statistische Bundesamt im selben Jahr 2762 Zuzüge aus Israel nach Deutschland. Der Großteil dieser Israelis sind Juden bzw. jüdischer Abstammung. Vor allem Berlin gilt für junge Israelis als attraktives Ziel. Dennoch schrumpfen die greisen, jüdischen Gemeinden in Europa, vor allem wegen einer höheren Zahl an Sterbefällen.

In Frankreich werden keine exakten Statistiken zu Migration, vor allem zur religiösen Zugehörigkeit der Zugezogenen erhoben. Auch die israelische Regierung erhebt keine detaillierten Daten zur Yeridah. Allerdings gibt das israelische Amt für Statistik an, dass pro Jahr rund 7000 Israelis, meist jüdischer Abstammung, das Land Richtung Europa verlassen und innerhalb eines Jahres nicht zurückkehren. Im selben Zeitraum verließen laut israelischem Ministerium 8403 Juden Westeuropa mit dem Ziel Israel. Es sind wichtige Daten für die Politik, die versprochen hat das jüdische Leben in Europa zu schützen und fördern.

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