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Trump im "Krieg mit den Medien": 140 Zeichen der Zeit

Zwischen dem Twitter-Präsidenten Donald Trump und dem Totalverweigerer Michael Müller: Wie Soziale Medien und ihr Verknappungsdiktat die politische Kommunikation verändern.

Ein 140-Zeichen-Loch klafft zwischen Washington und Berlin. Es klafft zwischen dem Twitter-Präsidenten der USA, Donald Trump, und dem Regierenden Bürgermeister aus Deutschland, Michael Müller, dem Social-Media-Komplettverweigerer. So unterschiedlich kann man es mit dem Sendebewusstsein halten – und trotzdem gewählt werden. Das zeigt bereits, dass sich Kommunikation extrem wandelt und mit ihr die Beziehung zwischen Politik, Medien und Bürgern.

Donald Trump hat dieses Verhältnis völlig umgekrempelt. Er hat im Wahlkampf seinen mittlerweile 21,6 Millionen Followern via Twitter Dinge mitgeteilt, die gelogen waren und beleidigend, er hatte am Ende des Wahlkampfs eine breite mediale Front gegen sich und sogar seine eigene Partei ging auf Abstand. Geschadet hat ihm das nicht, weil er direkt Kontakt zu den Wählern hatte. Er hat seine eigenen Kommunikationskanäle genutzt. Das kam gut an in einer Zeit, in der das Vertrauen in die klassischen Medien zurückgeht, was in den USA besonders für die Anhänger der Republikaner gilt, wie die beiden Wissenschaftler Mona Krewel und Thorsten Faas in ihrer jüngsten Literaturstudie erklären.

Jeder seiner Tweets werde „Breaking News“, sagte Donald Trump im Interview mit der „Bild“-Zeitung, und das stimmt. Die unmittelbaren Auswirkungen seiner Tweets zeigte etwa der Fall Boeing: Trumps Twitter-Ankündigung, den Vertrag mit Boeing für eine neue Präsidentenmaschine zu stornieren, weil dies zu teuer sei, führte zu einem zwischenzeitlichen Verlust an der Börse von 1,2 Milliarden Dollar für Boeing. Trump hat sich außerdem im 140-Zeichen-Format mit China angelegt, Meryl Streep als überschätzt bezeichnet, sogar seine eigene Partei zur Umkehr in der Frage der Ethikkommission bewogen und einen der größten Medienkonzerne der Welt als Fake-News-Produzenten dargestellt. Mehr als 34.300 Tweets hat Trump abgesetzt, viele davon in diesem Jahr, gut 300 seit der Wahl und auch nach der Inauguration am Freitag ging es unter @realdonaldtrump munter weiter.

Michael Müller, der radikale Nichtnutzer

Für Emily Bell vom New Yorker Tow Centre for Digital Journalism at Columbia School ist Trump weniger ein Politiker denn ein populistisches Medienunternehmen. Und der Thinktank „Diplomatic Council“ sagt, dass diese Twitter-Politik den Politikstil weltweit verändern werde.

Das gilt bisher allerdings nicht für Michael Müller. Der sagte im Interview mit dem „Tagesspiegel“ über Twitter: „Ich halte vieles, was dort passiert, für unseriös – und möchte mich daran nicht beteiligen.“ Und legte via Radio nach: „Facebook, Twitter und Mails aufs Handy – das will ich alles nicht.“

Damit gehört wie Trump auch Müller zu den Extremen in der Debatte um die Frage, ob Social Media für die politische Kommunikation Fluch oder Segen sind. Müller steht nur am anderen Ende der Skala. Trump ist der radikale Nutzer, Müller der radikale Nichtnutzer. Das ist aber mindestens genauso fatal, weil es die falsche Antwort auf Trump und eine Entwicklung ist, die man nicht durch Ignorieren aus der Welt schafft.

Politiker, die 2017 immer noch nicht verstanden haben, dass ein nicht unerheblicher Teil der Wähler genau diese Medien täglich nutzt, verweigern diesen Wählern deren Kommunikationsebenen.Und, so gar nicht nebenbei, überlassen sie Extremen (wie u.a. Trump) dieses Feld.

schreibt NutzerIn schwimmblogberlin

Natürlich kann im persönlichen Bereich jeder für sich entscheiden, welche Kommunikationswege er betritt. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel twittert nicht selbst, das sei nicht ihr Medium, heißt es. Sie lässt ihren Sprecher Steffen Seibert twittern. Insofern ist Müllers Abstinenz als persönliche eine zu respektierende Entscheidung, aber passt sie zu dem Regierungschef einer großen europäischen Hauptstadt? Dazu noch einer, die Digitalisierungshauptstadt werden will? Kann er als deren Repräsentant überhaupt ernsthaft für dieses Ziel stehen, wenn er sich einem wesentlichen Element des digitalen Diskurses entzieht?

Die kommunikative Mitte wird zwischen den Extremen zermahlen

In Müllers Absage an gleich alles, was mit Social Media zu tun hat, zeigt sich die Technik- und Innovationsskepsis, die in Deutschland verbreitet ist, weshalb aus dem Land der Ideen oft ein Land der Ratlosigkeit und des Zweifels wird. Und welches Signal sendet er eigentlich an Institutionen und Behörden des Landes? An die Verkehrsbetriebe oder die Polizei zum Beispiel. Beide twittern viel und vor allem gut, nämlich so, dass es dem Publikum nutzt. Nennt Müller auch das „unseriös“? Und wie ist es mit den Bezirksämtern, die auch nur mühevoll den Weg ins digitale Zeitalter finden? Sind die Äußerungen des Regierungschefs jetzt ein Freibrief zur digitalen Abstinenz? Hoffentlich nicht.

Beide durch Trump und Müller verkörperten Extreme sind riskant. Der eine verprellt mit einem Sperrfeuer aus unkontrollierten Twitter-Zwischenrufen Konzerne, Staaten und Teile der Bevölkerung, der andere diskreditiert das gesamte Netzwerk und damit auch die Protagonisten. Die kommunikative Mitte gerät dabei in Mitleidenschaft. Sie wird zermahlen zwischen den Extremen.

Nicht Twitter ist das Problem, sondern der analoge Trump

Trumps Medienstrategie zeigt weniger die Probleme von Twitter auf als vielmehr die Probleme, die durch den analogen Trump selbst entstehen können. Er verspricht einfache, unkomplizierte Wahrheiten und Lösungen in einer hochgradig komplexen Welt. Wie damit umgehen? John B. Emerson, der scheidende US-Botschafter in Berlin, macht Hoffnung. Man müsse die reale Politik von der Twitter-Politik unterscheiden, sagte er im Deutschlandfunk. Denn das seien zwei unterschiedliche Welten. Damit spricht Emerson die herkömmlichen Medien und alle anderen professionellen Empfänger an. Muss jeder Tweet „Breaking News“ werden? Muss die Börse so sensibel reagieren? Man würde ja gern „nein“ sagen. Aber Trump ist nun mal der mächtigste Mann der Welt, und sein Wort hat automatisch Gewicht und Bedeutung. Deshalb könnte auch die Annahme von Emerson naiv sein, dass man zwischen Trump-Twitter und Trump-Präsident unterscheiden könne. Das wird zumindest in der Wahrnehmung kaum gelingen. Nicht ohne Grund heißt sein Twitterkanal @realdonaldtrump.

Zwar hat der neue Präsident in den Wochen vor der Amtsübernahme vor allem durch widersprüchliche Aussagen von sich reden gemacht, und diese Widersprüchlichkeit wird sich wohl fortsetzen, aber das, was er kommuniziert, wird zunächst als gesetzt gelten und Reaktionen hervorrufen von Medien und Politik. Die Frage ist, wie einfach können Botschaften in einer komplexen Welt sein? Eine klare Botschaft ist nichts Schlechtes. Problematisch wird es, wenn der Unterbau fehlt. Ein Tweet kann die Botschaft beinhalten, selten die Erklärung.

Trump: "Ich bin im Krieg mit den Medien"

Insofern wird nicht nur viel darauf ankommen, wie Trump Twitter nutzt, sondern auch darauf, wie sehr er sich allein und ausschließlich auf dieses Medium verlässt. Das wiederum wirft die Frage nach seinem Umgang mit der Presse auf. Bleibt er auf Konfrontation, schließt er weiter kritische Journalisten aus, umgibt er sich nur mit Breitbart und Twitter, dann wird es eine unheilvolle Allianz: ein wuchtiges Medium von einem Präsidenten-Kraftprotz bedient. Und die ersten Tage nach seiner Amtseinführung deuten genau darauf hin. Seinen Besuch beim CIA nutzte er, um erneut darauf hinzuweisen: "Ich bin im Krieg mit den Medien." Sein Sprecher Sean Spicer beschimpfte die Journalisten ebenfalls bei seinem ersten Auftritt, weil sie falsche Besucherzahlen der Inauguration verbreitet hätten. Und Trumps Beraterin Kellyanne Conway verteidigte Spicers Darstellung: Er habe eben "alternative Fakten".

Christian Tretbar, Chefredakteur Online
Christian Tretbar, Chefredakteur Online

© TSP

Das ist unverfroren, dreist, erschütternd, gefährlich. Aber vor allem ist es eine Herausforderung für Journalisten - auch wie man mit Twitter-Trump umgeht. Es wird noch viel mehr eine für die internationale Diplomatie, wo man den direkten Ton nur hinter geschlossenen Türen und im kleinen Kreis pflegt. Offiziell werden klare Botschaften meist nur sehr wohldosiert verteilt. Trump könnte da einen anderen Politikstil einführen. Aber wenn die internationale Politik sich etwas aufrütteln lässt und ihm in geeigneter Form Paroli bietet, kann das auch zu einer neuen Nähe zum Publikum, zu den Bürgern und Wählern führen.

Alarmierend ist die Zahl der kommunikativen Anti-Trumps

Noch ist aber nicht wirklich abzusehen, ob Trump Twitter im realpolitischen Alltag weiterhin so nutzt wie bisher. Genauso wenig ist absehbar, wie die Welt darauf reagieren wird und ob Trump wirklich einen neuen Stil der politischen Kommunikation etablieren wird.

Viel alarmierender als die Tweets von Trump allein ist etwas anderes: die Zahl der kommunikativen Anti-Trumps, der Social-Media-Ahnungslosen. Und von denen gibt es unter den politischen Kommunikationsprofis eine Menge. Zu dem Ergebnis kommt auch eine Studie der Kommunikationsagentur WPP, die auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vorgestellt wurde. Demnach hätten viele Profis der politischen Kommunikation gar kein Gespür und keine Ahnung, von der Kommunikation, wie sie Trump nun vorlebt. Drei Viertel der 300 befragten Kommunikationschefs glauben, dass Regierungen die sozialen und digitalen Medien nicht verstehen. Und fast die Hälfte der Kommunikationsberater gaben zu, dass sie selbst auch kaum Verständnis für digitale und soziale Medien hätten. Diese Art Kommunikation werde oft nur als Anstrich gesehen, nicht als echte Interaktion, um auch Bürgerinteressen aufzunehmen.

Medien werden hart mit dem Publikum konfrontiert

Eins steht dennoch fest: Ein Zurück hinter die Zeit wird es nicht geben. Zwar gibt es noch keine validen Studien darüber, wie Soziale Netzwerke genau wirken, welchen Einfluss sie auf Aufmerksamkeitsspannen und politische Einstellungen haben. Aber als Mittel der politischen Kommunikation haben sie sich nicht nur in den USA, sondern auch im Europa und Deutschland längst etabliert. Entscheidend sind nicht mehr die großen Debatten im Feuilleton. Auch die TV-Duelle und Talkshows haben heute vor allem deshalb viel Wirkung, weil sie aktiv medial begleitet werden, und zwar simultan via Twitter. Gerade in Deutschland ist Twitter ein hochpolitisches Medium. Es aber darauf zu verknappen, wäre bei rund zwölf Millionen Nutzern auch zu kurz gegriffen.

Wer wissen will, wie AfD-Anhänger ticken, wie sie etwa auf die umstrittene Rede von Höcke reagieren, muss in die rechte Filterblase krabbeln. Die gibt es auf der Straße, aber in komprimierter Ausprägung vor allem in den sozialen Netzwerken. Dort paart sich Alltagstrash mit politisch-gesellschaftlichen Komplexen. Und die Netzwerke sind eine Spielwiese der Ideologen und Aktivisten, die sich gegenseitig beharken.

Aufgerieben zwischen den Extremen verliert meistens die ernsthaft geführte, die an Inhalten und Argumenten orientierte Debatte. Das Normale, die Mitte. Wie kann sinnvollerweise digitale Abrüstung gelingen, wie die kommunikative Mitte gestärkt werden? Durch bloße Abstinenz jedenfalls nicht. Natürlich posten, tweeten, retweeten, liken und favorisieren Bürger, wie ihnen die Finger gewachsen sind. Sie handeln oft situativ, aus dem Bauch heraus, ohne groß nachzudenken. Und das ist an sich auch kein Problem. Nicht jeder muss ein Kommunikationsprofi sein. Aber die Kommunikationselite sollte in der Lage sein, auf diese Form der Kommunikation zu reagieren, zu lernen, Gegenstrategien zu entwickeln. Dazu gehören Journalisten genauso wie Politiker.

Die Einbahnstraßenkommunikation auf Twitter

Noch nie waren auch die Hürden zwischen Medien und Bürgern so gering. Das ist für alle Seiten eine Herausforderung, denn plötzlich werden Medien hart mit ihrem Publikum konfrontiert. Es gibt Feedback auf allen Wegen, die Arbeitsweisen werden hinterfragt, die Rolle muss ständig neu eingeordnet werden. Und die Lese- oder Sehgewohnheiten angepasst werden. Gut so. Und Medien sollten sich nicht scheuen, auch die Bürger zu konfrontieren: mit Aufklärung, Diskurskompetenz, Argumenten. Aber nicht nur Medien sollten dort sein, wo die politische Debatte, der gesellschaftliche Diskurs stattfindet, sondern auch die Politik. Es reicht eben nicht, wenn einige wenige Politiker sich in die Debatte stürzen, die via soziale Netzwerke läuft. Erst wenn es viele sind, wird es interessant. Und auch Stiftungen, Thinktanks, Verbände sollten sich dem Diskurs nicht verwehren. Das ist nicht immer leicht, nicht immer zielführend. Aber eine Chance, und konstitutiv für eine Demokratie.

Twitter ist für Polit-Profis ein ideales Instrument, weil es eine Art Fortsetzung des Fernsehens ist. Dort zählten kurze Quotes genauso wie jetzt auf Twitter. Doch die Politik droht den Kontakt zu verlieren. Als Ausspielungskanal nutzen viele Politiker Twitter bereits – auch in Deutschland. Justizminister Heiko Maas ist so ein Beispiel. In den Diskurs gehen wenige. Auch Trump tut das nicht. Es ist eine Einbahnstraßenkommunikation.

[Social Media] ist ein digitaler Stammtisch. [...] Da wird viel gelacht und gepöbelt und ganz am Ende lallen alle irgendwas daher. Das ist mal ganz lustig. Wenn ich aber anfange, all das ganz fest zu glauben, was mir da unbekannte Betrunkene ins Ohr gelallt haben, dann stehe ich irgendwann ziemlich doof da und bin bestenfalls die Lachnummer im Kiez.

schreibt NutzerIn FloPiep

Twitter ist knapp, direkt und weltweit. Es ist das Medium der Globalisierung. Im Positiven wie im Negativen. Sorgen vor Protektionismus und Populismus, vor Überfremdung und sozialem Abstieg finden hier nicht nur Ausdruck, sondern sie werden hier verstärkt und beschleunigt. Warum sie nicht stattdessen einhegen, zerstreuen, warum nicht aufklären und befrieden? Dort, wo die Sorgen sind, sollte auch die Politik sein, die für Abhilfe sorgen muss. Das macht die kleine Frage nach dem twitternden Regierenden so groß.

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