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In der Wahlnacht im November vor dem Weißen Haus.

© dpa

Trump und die USA: Kann die amerikanische Gesellschaft jemals wieder Frieden finden?

Zwei Parteien, null Dynamik: Unser Autor zweifelt grundsätzlich an der Reformfähigkeit des Landes. Ein Gastbeitrag.

Wann immer die Amerikaner in den vergangenen Jahren über den politischen Stillstand in ihrem Land und das Ätzende in ihrer Politik richtig frustriert waren, konnten sie sich immer mit einer Tatsache trösten: Die Dinge in Frankreich, ihrem brüderlichen Revolutionspartner von einst und heute einer Präsidialdemokratie, die der amerikanischen ähnlich ist, waren viel schlimmer.

Doch mit der Wahl Emmanuel Macrons ist diese Beruhigungspille zerbröselt. Auch wenn Macron den Beweis seiner Fähigkeiten im Regierungsalltag noch antreten muss, steht eine fundamentale Wahrheit schon fest: Der Ruf eines maroden politischen Systems, das nur äußerst schwer wieder auf die Beine kommen wird, haftet von nun den USA an.

Diese Feststellung repräsentiert ein wahres Erdbeben in der politischen Gegenwart.

Was manch einem zunächst noch als maßlose Übertreibung vorkommen mag, hat vielfältige Gründe. Das fängt mit der stets mantrahaften Rezitation der „checks and balances“ an. Auch wenn diese geeignet sein mögen, Trumps schlimmste Exzesse zu blockieren, adressiert dieser Mechanismus nicht den Kern des politischen Problems der USA. Und auch den allzu lange reflexiv vorgeschobenen amerikanischen Optimismus sollte man besser als Wirklichkeitsverweigerung verstehen.

In den USA stellt sich die Frage, ob es sich überhaupt noch um eine "Gesellschaft" handelt

In den USA stellt sich ja inzwischen nicht nur ernsthaft die Frage nach der inneren Friedensfertigkeit der Gesellschaft, sondern noch viel radikaler die des Miteinanderlebenwollens. Im Grunde stellt sich zunehmend die Frage, ob es sich noch um eine „Gesellschaft“ handelt. Denn gerade an der dafür erforderlichen Bereitschaft, auch auf politisch (!) Andersgesinnte zuzugehen, fehlt es immer mehr. Es scheint, als hätten die Amerikaner die abgrundtiefen Schwierigkeiten schon lange erkannt. Daher rührt wohl die immer dringlicher geäußerte Hoffnung, einen wahrhaft „transformativen“ Präsidenten zu finden.

Wegen der Sklerotisierung des politischen Systems, so die Theorie, bedarf es einer Persönlichkeit im Weißen Haus, die – mit einem direkten Mandat der Wähler ausgestattet – die gesamte Vermaledeitheit zu überwinden vermag. Die Geschichte meint es da aber nicht gut mit den Amerikanern. Die hehren Hoffnungen, die etwa in Kennedy oder Obama bei ihrem jeweiligen Amtsantritt gesetzt wurden, verpufften sehr schnell. Donald Trump wurde von seinen Wählern 2016 als eine neuerliche Inkarnation des Heilsbringers auserkoren – an die aber schon jetzt jenseits seiner eisernen Getreuen keiner mehr glaubt.

Patienten in Wise, Virginia, warten bei einer mobilen Zahnklinik, der "Remote Area Medical (RAM) mobile clinic" auf eine Behandlung.
Patienten in Wise, Virginia, warten bei einer mobilen Zahnklinik, der "Remote Area Medical (RAM) mobile clinic" auf eine Behandlung.

© John Moore/Getty

Warum ist es für US-Präsidenten, die doch im Vergleich zu europäischen Premierministern und Bundeskanzlern mit Omnipotenz ausgestattet sind, so schwer, an der Heimatfront erfolgreich zu sein? Der Grund dafür ist so einfach wie überraschend. Im politischen System der USA, ganz anders als im französischen, das von de Gaulle restrukturiert wurde, hat niemand – nicht einmal ein Präsident, der mit großen Mehrheiten gewählt wurde – wirklich die Macht, Dinge zu gestalten. Er ist immer nur ein Machtzentrum unter mehreren. Und der schöne Schein, mittels allerlei Pomp seine fast feudalistische Königshaftigkeit herauszustreichen, ist in Wirklichkeit nur Illusion. Dem Volk wird die angebliche Omnipotenz des Präsidenten nur vorgegaukelt.

In Wirklichkeit ist der gesamte amerikanische Politikbetrieb von großem Misstrauen gegenüber den anderen Machtzentren geprägt. Das ist die Kernfunktion der „checks and balances“. Die ausgiebigen Minderheitsrechte, die insbesondere im Senat sehr ausgeprägt sind, haben vornehmlich eine Funktion: Sie führen zu starken Hindernissen für modernisierende Veränderungen. Ein Gutteil des amerikanischen Politikbetriebes ist vielmehr zur Imzaumhaltung des – so die Furcht der Gründungsväter – revolutionär veranlagten Volks geschaffen worden. In der Theorie soll das strikte Zweiparteiensystem der Vereinigten Staaten die politische Entscheidungsfindung erleichtern, in der Realität erstickt der Zweiparteienstaat jegliche politische Dynamik. Politisches Handeln verkommt so immer mehr zu reinem Partisanentum.

In den USA gibt es keine wirkliche Hoffnung, einen Weg wie Macron zu beschreiten.

Theoretisch sollten die Amerikaner aus der Tatsache Hoffnung schöpfen können, dass Frankreich bis vor wenigen Monaten in demselben Teufelszyklus verhaftet war. Die französischen Sozialisten und Republikaner, die dominierenden Parteien des Landes, waren so aufeinander fixiert, dass sie immer weniger auf die realen Bedürfnisse der Menschen eingingen. Ein solches politisches System bewegt sich unweigerlich in Richtung des Zusammenbruchs. Da die französischen Wähler Emmanuel Macron nun eine erstaunlich freie Hand gegeben haben, wird die Welt ein Live-Experiment erleben. Die präzise Fragestellung ist, ob eine solche Transformation in dem angeblich so traditionsverhafteten Frankreich funktionieren kann, während das in den (vermeintlich dynamischen) Vereinigten Staaten allem Anschein nach nicht möglich ist.

Allerdings werden die Amerikaner dabei auf ein unschönes Ergebnis stoßen: In den USA gibt es keine wirkliche Hoffnung, einen Weg wie Macron zu beschreiten. Diese Feststellung ist umso fataler, als die Methode von Macrons quasi-wunderhaftem Aufstieg nach Mechanismen erfolgte, die die gesamte Welt immer nur mit den Amerikanern assoziiert hat. Ein Mann wirft seinen Hut in den Ring – et voilà, er wird nicht nur zum Präsidenten gewählt, sondern das Wahlvolk gibt ihm auch im Parlament die notwendigen Mehrheiten, um den überfälligen Wandel herbeizuführen.

Trump mag vorgeben, Ähnliches vorzuhaben. Aber ihm ging es niemals um das Land, nur um seinen Egotrip. Bei genauer Betrachtung ist er die cholerische Überzeichnung eines Politikverständnisses, das dem Nihilismus gefährlich nahesteht. Dass sich der politische Apparat der USA zudem mittels des Systems der Wahlkampffinanzierung und des „Gerrymandering“ (also der Schaffung von Wahlbezirken, um Wahlsiege für bevorzugte Parteien zu garantieren) weiter pervertiert, erhöht den Grad der Selbstabschottung der Politik und der Bürgerferne nur noch weiter.

Außer im Fall, dass Macron sich als wahrer Flop entpuppt, und die Chancen dafür stehen nahe null, muss die gesamte Welt umdenken. Es sind nicht länger die Franzosen, die halstief im politischen Morast feststecken, sondern die vermeintlich so flexiblen Amerikaner. Also die Nation, die bisher immer geglaubt hat, sich münchhausenhaft aufgrund einer Vorsehung der Weltgeschichte jedem Schlamassel entziehen zu können. Diese bisher praktizierte Neigung zum Gesundbeten in eigener Sache hilft nicht weiter. Angesichts der Unmöglichkeit einer tiefgreifenden Verfassungsänderung, etwa in Richtung einer parlamentarischen Demokratie, ist schwer vorstellbar, wie sich die USA heilen können.

Genau deshalb ist die aktuelle politische Krise der USA tiefer und hoffnungsloser, als es die Krise Frankreichs in der Fünften Republik je war. Ein deus ex machina à la Macron wird den Amerikanern jedenfalls nicht helfen.

Stephan Richter ist Gründer des außenpolitischen Online-Magazins „The Globalist“.

Stephan Richter

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