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Politik: Truppe nach Maß

Brüssel wird den US-Wunsch nach einer Nato-Eingreiftruppe erfüllen – entscheidende Details sind aber offen

Was noch vor wenigen Wochen von den Europäern mit skeptischer Zurückhaltung aufgenommen wurde, ist nun beschlossene Sache: Die Staats- und Regierungschefs der Nato haben bei ihrem Gipfeltreffen in Prag den Vorschlag der Amerikaner aufgegriffen und den Militärexperten der Atlantischen Allianz den Auftrag erteilt, bis Ende Mai 2003 ein Konzept für eine schnelle Eingreiftruppe der Nato zu erarbeiten, die 2006 kampfbereit sein soll.

In einer kleinen, aber hoch mobilen, reaktionsschnellen und schlagkräftigen Truppe für den weltweiten Kampf gegen den Terrorismus sehen die Beobachter in Brüssel die letzte Chance, einen Trend umzukehren, der sich seit den Anschlägen des 11. September dramatisch verstärkt hat: Die wachsende Entschlossenheit Washingtons, allein zu handeln und das Bündnis mit seinen schwerfälligen bürokratischen Entscheidungsverfahren und den schlecht ausgerüsteten europäischen Streitkräften links liegen zu lassen.

Die Nato hatte nach den Terroranschlägen in den USA zwar prompt reagiert. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte berief sie sich auf den Artikel 5 des Nordatlantikpakts, der bei einem Angriff auf ein Mitgliedsland zum Beistand verpflichtet. Die Regierung Bush verzichtete aber auf die angebotene militärische Hilfe der Nato und zog es vor, in Afghanistan weitgehend allein zu handeln. Auch die Absicherung der neuen afghanischen Regierung in Kabul wurde nicht dem Bündnis überlassen, sondern von einzelnen Bündnispartnern wie Deutschland, Frankreich, den Niederlanden oder der Türkei in nationaler Verantwortung und nicht im Rahmen des Atlantischen Bündnisses übernommen.

Ganz verzichten die USA zwar auf das im Kalten Krieg bewährte Atlantische Bündnis nicht, denn für ihre militärischen Operationen nutzen sie die Infrastruktur der Nato in Europa: Flugplätze, Kommunikationseinrichtungen, Planungskapazitäten. Aber wenn das Bündnis in Zukunft noch eine Rolle spielen wolle, dann, so argumentiert die Regierung in Washington, müsse die Nato im Kampf gegen den Terrorismus Flagge zeigen. Der US-Präsident fordert deshalb von der Nato ,,eine speziell ausgebildete, moderne Truppe, die dorthin geschickt werden kann, wo unsere Interessen bedroht sind.“ Bush vertritt die Ansicht, die Nato müsse bereit sein, jederzeit auch außerhalb ihres vertraglichen Bündnisgebiets ,,an der Seite der Amerikaner“ militärisch einzugreifen.

Selbst die Tageszeitung ,,Herald Tribune", sonst eher das Sprachrohr der US-Politik in Europa, urteilte, das in Washington gezeichnete Bild der neuen Nato-Streitmacht sehe doch sehr nach einer von den Europäern finanzierten ,,Fremdenlegion für das Pentagon“ aus. Davon könne keine Rede sein, widersprechen europäische Nato-Diplomaten in Prag. Man sei sich zwar grundsätzlich über die Aufstellung und über die Umrisse der Nato-Eingreiftruppe einig. Die entscheidenden Details der praktischen Umsetzung seien aber noch völlig offen. Während die Amerikaner darüber nachdenken, wie sie die künftige Truppe, die wohl fast ausschließlich von den Europäern gestellt werden muss, den unwägbaren, einstimmig zu fällenden Entscheidungen der Nato entziehen könnten, beharren die Europäer auf den Regeln des Nordatlantikpakts. ,,Der Nato-Rat wird über den Einsatz entscheiden. Dort gilt das Einstimmigkeitsprinzip, das von niemandem in Frage gestellt wird“, heißt es aus europäischen Nato-Kreisen.

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