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Politik: Truppe vor Gericht

Türkische Soldaten vergewaltigten eine Kurdin – jetzt sind 405 Armeeangehörige angeklagt

Nur an seine grünen Augen kann sie sich erinnern. Hünenhaft und grünäugig sei der Offizier gewesen, der sie als erster vergewaltigte: Soviel ist der 31-jährigen S. E. noch davon gewärtig, was sich vor zehn Jahren in der südosttürkischen Provinz Mardin zutrug. „Bedient euch“, sagte der Offizier zu seinen Soldaten; nach der zweiten oder dritten Vergewaltigung wurde S. E. ohnmächtig. Fünf Jahre dauerte es, bis die junge Frau durch eine Informationsveranstaltung in Deutschland den Mut fand, ihre Peiniger anzuzeigen, weitere fünf Jahre, bis der Fall vor Gericht kam. Zehn Jahre nach der Folter und Vergewaltigung der jungen Kurdin begann am Freitag in Mardin der Prozess gegen die Tatverdächtigen. Weil ihre Identität nicht geklärt werden konnte, klagt die Staatsanwaltschaft alle 405 Soldaten an, die zur fraglichen Zeit dort ihren Dienst versahen.

Der Krieg zwischen der türkischen Armee und der kurdischen Rebellengruppe PKK, der den Südosten der Türkei jahrelang zum rechtsfreien Raum für Folter, Vergewaltigung und Tötungen machte, ist zwar fast vorbei; die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen aber hat kaum begonnen.

Das Märtyrium von S. E., die heute in Herne bei Bochum lebt, begann ihrer Erinnerung nach Ende 1993, als rings um ihr Dorf Cayköyü erbitterte Kämpfe zwischen PKK und Armee tobten. Soldaten kamen in das Dorf, trieben die Bewohner zusammen und schleiften die damals 21-Jährige auf die Wache. Dort zogen die Soldaten sie nackt aus, stießen ihr einen Stock in die Vagina und zwangen sie, so stehen zu bleiben. Eine Woche lang wurde sie mit Elektroschocks und kaltem Wasser gequält und mal an den Armen, mal an den Füßen aufgehängt.

Vier Monate später kamen die Soldaten wieder nach Cayköyü. „Derselbe Offizier wie beim ersten Mal nahm mich wieder an sich“, erinnerte S. E. sich im Interview einer türkischen Zeitung. „Als sie mich (nach zwei Wochen) freiließen, drohten sie, dass sie auch meine kleinen Schwestern vergewaltigen und mich umbringen würden, wenn ich etwas sage.“ Bei der Feldarbeit erwischten die Soldaten S. E. im September 1994 zum dritten Mal, schleppten sie in ein leerstehendes Haus und vergewaltigten sie auf Einladung des grünäugigen Offiziers serienweise. Weil S. E. danach nicht mehr sprechen konnte und dauernd ohnmächtig wurde, kam sie 1995 beim Folterbehandlungszentrum der Türkischen Menschenrechtsstiftung in Izmir in Behandlung. 1997 floh sie nach Deutschland, wo sich das Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin ihrer annahm. Trotzdem konnte S. E. nicht darüber sprechen, was ihr widerfahren war – bis sie 1998 in Bochum die türkische Menschenrechtlerin Eren Keskin sprechen hörte. Unter Tränen berichtete sie der Anwältin von ihrem Schicksal. Keskin erstattete eine Strafanzeige, die von der Staatsanwaltschaft wegen Mangels an Beweisen niedergeschlagen wurde.

Erst auf einen gerichtlichen Einspruch hin, den Keskin mit Gutachten beider Folterbehandlungszentren untermauern konnte, eröffnete die Staatsanwältin Yesim Dogan Kar 1999 ein Ermittlungsverfahren. Um den Fall angesichts der Beweisschwierigkeiten überhaupt vor Gericht bringen zu können, klagte sie kurzerhand alle damaligen Soldaten des Dienstbezirkes an. Mindestens 31 Jahre Haft fordert die Anklägerin für jeden Täter - doch die müssen erst noch überführt werden. Menschenrechtlern gilt der Prozess dennoch als Meilenstein. „Alleine dass das Verfahren eröffnet wurde, bedeutet einen Fortschritt“, sagt die Anwältin Keskin.

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