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Truppenverstärkung: Obamas Vollzug zur besten Sendezeit

Schon seit langem fordern US-Kommandeure mehr Soldaten für Afghanistan – nun ist Obama der Bitte nachgekommen.

Die Stimmung war ernst. Selten kam Beifall auf, insgesamt nur fünf Mal im Laufe der 35 Minuten – bemerkenswert wenig im Vergleich zu sonstigen Reden des US-Präsidenten, die häufig von Jubel und Applaus unterbrochen werden und mit Standing Ovations enden. Doch wie konnte es auch anders sein bei diesem Thema? Barack Obama trat jungen Offiziersanwärtern in der Militärakademie West Point gegenüber, die womöglich schon bald in Afghanistan kämpfen. Ihnen wollte er erklären, warum er nach acht Kriegsjahren weitere 30 000 US-Soldaten am Hindukusch der Lebensgefahr aussetzt. „Ich schulde euch einen klar definierten Einsatzplan.“ Zugleich sprach er zu den Millionen Bürgern an den Fernsehgeräten zur besten abendlichen Sendezeit als ein Oberbefehlshaber in Zivil, der sich seiner Verantwortung bewusst ist.

Der Präsident erinnerte daran, warum US-Truppen überhaupt in Afghanistan stehen. „Wir haben diesen Kampf nicht gesucht. Am 11. September 2001 kaperten 19 Terroristen vier Flugzeuge und missbrauchten sie zum Massenmord an nahezu 3000 unschuldigen Männern, Frauen und Kindern.“ Die Terrororganisation Al Qaida hatte den Angriff in Afghanistan geplant, unter dem Schutz der Taliban. Der Feldzug zum Sturz der Taliban war ein aufgezwungener Krieg – im Gegensatz zum Irak, wo George W. Bush aus freien Stücken einmarschierte. Damit leitete Obama zu seiner Erklärung über, warum der Einsatz am Hindukusch noch immer nicht erfolgreich abgeschlossen sei und die Lage nach acht Jahren sogar außer Kontrolle zu geraten drohe. „Der Krieg im Irak lenkte den Großteil unserer Truppen und unsere Aufmerksamkeit von Afghanistan ab.“ Er werde beide Kriege auf verantwortliche Weise beenden, kündigte Obama an. Anders als Bush sende er den US-Kommandeuren in Afghanistan die zusätzlichen Soldaten, die sie seit langem fordern.

Wochenlang hat er das Für und Wider der Truppenverstärkung sowie der strategischen Optionen in vielen mehrstündigen Beratungen mit seinen Ministern, Militärs und Diplomaten abgewogen. Republikaner haben ihm das als Verzögerung und Zeichen der Unentschlossenheit ausgelegt, die US-Soldaten das Leben koste. „Ich treffe meine Entscheidungen nicht leichtfertig“, antwortete Obama nun auf die Vorwürfe. Die Verstärkung werde auch so rechtzeitig eintreffen – wenn die Kämpfe sich nach Winterende wieder ausweiten.

Auf die Widerstände in seiner eigenen Partei ging er ebenso ein. Die Linke kritisiert, Amerika könne sich die Verstärkung angesichts von Wirtschaftskrise, wachsender Verschuldung und dem Kampf um die Finanzierung der Gesundheitsreform nicht leisten. Die 30 000 weiteren Soldaten, die an den Hindukusch verlegt werden sollen, kosten 30 Milliarden Dollar pro Jahr. Obama stellte es als eine unvermeidbare Investition dar, damit der Rückzug im Sommer 2011 beginnen könne und Amerikas Kriegskosten sinken. Als er Präsident wurde, hätten die Ausgaben für die Kämpfe in Afghanistan und im Irak die Summe von einer Billion oder tausend Milliarden Dollar überschritten – Geld, das für die innenpolitischen Aufgaben fehle. Er müsse die vielfältigen Herausforderungen in eine neue Balance bringen, erklärte Obama. Die Sicherheit der USA sei bedroht, solange Afghanistan nicht stabil sei. Aber „die Nation, an deren Aufbau ich am meisten interessiert bin, ist meine eigene“.

Obama versprach, dass die USA „die Last nicht allein tragen. Dies ist nicht nur Amerikas Krieg.“ Al Qaida habe auch in London, Amman und Bali zugeschlagen. Von den Nato-Partnern und anderen Verbündeten erwartet er ebenfalls größere Beiträge, Zahlen nannte er freilich nicht.

Drei Aufgaben haben die neuen Truppen: die Aufständischen im Südosten Afghanistans verstärkt bekämpfen, die Bevölkerungszentren vor Angriffen schützen und beschleunigt afghanische Armee und Polizei ausbilden, damit sie die Verantwortung für die Sicherheit allmählich selbst übernehmen. Außerdem machte Obama moderaten Taliban ein Versöhnungs- und Integrationsangebot, sofern sie die Waffen niederlegen. „Amerika ist euer Partner, nicht euer Schutzherr“, sagte er. Eine ähnliche Strategie hatte im Irak Erfolg. Sie bestand darin, die Truppen zu verstärken und gleichzeitig einzelne Stämme durch Kooperationsangebote aus dem Widerstand herauszulösen.

Die Entwicklung in Afghanistan hänge freilich von Pakistan ab, erklärte der US-Präsident. Er nannte Al Qaida und die Taliban ein „Krebsgeschwür“, das seine Wurzeln im Grenzgebiet beider Staaten habe und beide Gesellschaften „in ihrer Existenz bedroht“. Offen übte er Kritik an den Regierungen beider Länder. Die Regierung in Kabul habe sich oft als korrupt und ineffektiv erwiesen. Pakistan habe wiederholt nichts gegen Terroristen unternommen, „deren Aufenthaltsort bekannt war“. Zum Abschluss streichelte er die amerikanische Seele und lobte die Opfer, die das Land für die Freiheit anderer gebracht habe. Amerikas Werte machen seine Stärke aus, sagte der Präsident. Sie zeige sich „in der Art, wie wir Kriege beenden und Konflikte vermeiden“. Die US-Medien nahmen die Rede fast durchweg mit Respekt auf. „Obama macht Afghanistan zu seinem Krieg“, meinte die „Washington Post“. Er habe „beiden Lagern etwas gegeben“, hob die „New York Times“ hervor.

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