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Präsident Vaclav Klaus bei seiner Neujahrsansprache

© AFP

Tschechien: Des Präsidenten letzter Akt

In Tschechien hat eine von Präsident Vaclav Klaus verkündete Amnestie große öffentliche Empörung ausgelöst. Warum ist der Gnadenakt so heftig umstritten?

Eine Weile hat es gedauert, bis den Tschechen klar geworden ist, was ihr Präsident da eigentlich gerade verkündet hat: Ein einziger Satz in der traditionellen Neujahrsansprache hat Vaclav Klaus genügt, eine „umfangreichere Amnestie“ für Strafgefangene bekannt zu geben – Details seien auf seiner Internetseite zu finden. Inzwischen zeigt sich, dass fast ein Drittel aller Gefängnisinsassen entlassen werden; viele sind gleich nach der Ansprache auf freien Fuß gesetzt worden.

Inzwischen schlägt die Amnestie im Land hohe Wellen, denn unter den Begnadigten sind zahlreiche Unternehmer und Politiker, die wegen Korruptions- und Finanzdelikten beschuldigt sind. Kritiker werfen Vaclav Klaus vor, dass es ihm mit der Amnestie vor allem darum gegangen sei, diese großen Fische vor einer Strafe zu schützen. Die oppositionellen Sozialdemokraten haben inzwischen eine Vertrauensfrage im Parlament angekündigt, mit der sie die Mitte-Rechts-Regierung stürzen wollen – denn Premierminister Petr Necas und Justizminister Pavel Blazek haben die Amnestie des Präsidenten ebenfalls unterzeichnet.

Begnadigt werden unter anderem alle Täter, die zu Gefängnisstrafen von bis zu einem Jahr verurteilt worden sind oder eine Bewährungsstrafe bis zu zwei Jahren bekommen haben. Außerdem werden unter bestimmten Umständen auch Strafgefangene freigelassen, die über 70 Jahre alt sind. Ausgenommen sind Gewalt- und Sexualdelikte. Nach ersten Schätzungen des Justizministeriums sind zwischen 6000 und 7500 Gefangene betroffen.

Besonders umstritten ist indes die Regelung, dass Gerichtsverfahren beendet werden, die sich seit mehr als acht Jahren hinziehen und zu einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren führen können. Damit werden viele Finanzkriminelle freigesprochen, die mithilfe teurer Anwälte ihre Verfahren künstlich in die Länge ziehen. Ihnen spielt die Amnestie in die Hände, sagen Richter und Staatsanwälte. Kritiker vermuten, dass Vaclav Klaus gerade diese Fälle mit seiner Amnestie im Auge gehabt haben könnte. Die Massen-Begnadigung nämlich fällt in die letzte Phase seiner Amtszeit: In der kommenden Woche wählen die Tschechen ihren neuen Präsidenten, und für viele Wähler sieht der Gnadenakt so aus, als tue Klaus einigen Freunden noch einen letzten Gefallen. „Die Amnestie ist ein Schlag ins Gesicht aller Bürger, die gehofft haben, dass sie in den größten Korruptionsfällen der Vergangenheit noch Gerechtigkeit finden werden“, sagt etwa Jiri Dienstbier; der Sohn des früheren tschechoslowakischen Außenministers ist einer der Präsidentschaftskandidaten. Viele der anhängigen Verfahren haben ihre Wurzeln in den 90er Jahren; damals war Klaus noch Premierminister. „Mit diesem Schritt verwischt Vaclav Klaus im Grunde die Spuren, die er in seiner Zeit als Premierminister und Präsident hinterlassen hat. In dieser Phase kam es zu einer Blüte von Korruption und anderer Wirtschaftskriminalität“, sagt Dienstbier.

Vaclav Klaus weist die Kritik kategorisch zurück. In einem Interview mit der Prager Zeitung Mlada Fronta Dnes sagt er, er habe bei der Entscheidung über die Amnestie keine konkreten Einzelfälle untersucht. Es sei eine Geste „für diejenigen unserer Bürger, die in Konflikt mit dem Staat, mit seinen Gesetzen geraten sind“.

Die Amnestie fällt in eine Zeit, in der tschechische Gerichte sich erstmals intensiv mit Korruptionsdelikten beschäftigen. Im vergangenen Jahr sind mehrere Politiker und Unternehmer in Haft gekommen, die sich offenbar systematisch aus den öffentlichen Kassen bedient haben. In Medien, Öffentlichkeit und Justiz herrscht eine Art Aufbruchstimmung, weil erstmals seit der Wende die Täter nicht straffrei davonkommen. Der Kampf gegen Korruption ist in Tschechien zum Thema Nummer eins geworden – viele Bürger waren deshalb verwundert, dass Klaus in seiner Neujahrsansprache mit keinem Wort darauf eingegangen ist. Dass er jetzt mit seiner Amnestie viele der anhängigen Verfahren beendet und die ersten verurteilten Täter gleich wieder auf freien Fuß setzt, sorgt deshalb für besondere Empörung. Die Prager Oberstaatsanwältin Lenka Bradacova, die als führende Anti-Korruptions-Ermittlerin gilt, hat bereits bekannt gegeben, dass mit der Amnestie allein in ihrem Zuständigkeitsbereich wohl mehr als ein Dutzend großer Strafverfahren eingestellt werden, bei denen es um eine Schadenshöhe von mehreren Milliarden tschechischen Kronen geht.

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