zum Hauptinhalt

Tschechien: "Hütchenspielertrick" beendet Krise

Tschechien hat eine neue schwarz-grüne Regierung. Nach sieben Monaten konnte sich endlich eine Koalition durchsetzen. Allerdings kam diese nur mit hauchdünner Mehrheit und einem Trick an die Macht.

Prag - Mit einem spektakulären Abgang aus dem Parlament in Prag haben ein gelernter Werkzeugmacher und ein ehemaliger Arzt das lähmende politische Patt in Tschechien nach mehr als sieben Monaten beendet. Die beiden Abgeordneten der oppositionellen Sozialdemokraten (CSSD) verließen vor der Vertrauensabstimmung den Plenarsaal und verschafften damit der schwarz-grünen Minderheitsregierung von Ministerpräsident Mirek Topolanek (ODS) eine hauchdünne Mehrheit. Nur wenige Tschechen glauben jedoch, dass mit dem von Medien als "Hütchenspielertrick" bezeichneten Erfolg die innenpolitische Krise ganz vorbei sein wird.

Gerätselt wird in Prag, warum der langjährige Gynäkologe Michal Pohanka und sein Parteigenosse Milos Melcak so plötzlich zum Geburtshelfer des Mitte-Rechts-Bündnisses wurden. War es "Verrat, Heuchlerei, Korruption", wie Oppositionsführer Jiri Paroubek (CSSD) vermutet? Oder wollten die Abweichler tatsächlich nach 230 Tagen bloß "die innenpolitische Agonie beenden", wie sie beteuerten? Der Bürgerpartei (ODS) von Topolanek, die eine Koalition mit Christdemokraten (KDU-CSL) und Grünen (SZ) bildet, kann es egal sein: Neun Jahre nach ihrem Machtverlust durch einen Spendenskandal steht die konservative Kraft wieder auf dem innenpolitischen Gipfel.

Topolaneks Ansehen stark gesunken

Dort verspricht die Luft für Topolanek jedoch dünn zu werden. Dass die Juniorpartner im Kabinett zusammen so viele Sitze haben wie der Wahlsieger ODS und noch dazu die Schlüsselressorts Außenpolitik und Finanzen besetzen, wird Topolanek parteiintern als grober Verhandlungsfehler angelastet. Und in der Öffentlichkeit ist das Ansehen des Regierungschefs seit dem Geständnis gesunken, Frau und drei Kinder nach 27 Jahren Ehe wegen einer jüngeren Parteikollegin verlassen zu haben. Mit dem Stützen auf Abweichler hat Topolanek sich auch den Ärger von Staatspräsident Vaclav Klaus zugezogen, der die Parteien vor einer solch "unwürdigen" Lösung stets gewarnt hatte.

Eine Woche vor dem Prag-Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist die Arbeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft nicht leichter geworden. In Tschechiens neuer Regierung gibt es starke Widerstände gegen jede Form eines EU-Verfassungsvertrags und eines EU-Beitritts der Türkei. Die größten Folgen aber habe die durch Abweichler gewonnene Mehrheit für Tschechien selbst, meint die Prager Zeitung "Hospodarske noviny": "Pragmatismus gehört zur Politik, aber dieser Sieg lässt viele höhere Werte vermissen." Der stellvertretende CSSD-Vorsitzende Bohuslav Sobotka meinte gar: "Das ist ein schwarzer Tag für die politische Kultur in Tschechien." (Von Wolfgang Jung, dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false