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Kontrahenten: Bohuslav Sobotka liegt mit den Sozialdemokraten in Umfragen vorn. Miroslava Nemcova von der regierenden ODS hat dagegen kaum Chancen. Foto: David Cerny/Reuters

© REUTERS

Tschechien: Wahl mit Unbekannten

Bei der Abstimmung in Tschechien könnten ein Milliardär und die Kommunisten alter Schule eine wichtige Rolle spielen.

Die Show ist perfekt auf ihren Hauptdarsteller abgestimmt: Als er endlich den Saal betritt, warten manche Zuschauer schon eine Stunde lang, viele haben keinen Platz bekommen und stehen auf dem Flur. Applaus brandet auf, als Andrej Babis auf das Podium steigt und sich ins Flutlicht stellt. Für ihn sind sie gekommen, die mehreren hundert Wähler: für ihn, den zweitreichsten Mann Tschechiens, der jetzt die etablierten Politiker das Fürchten lehrt.

Der 59-Jährige ist innerhalb weniger Monate zu einem der wichtigsten Protagonisten vor den tschechischen Parlamentswahlen geworden: Mit seiner neu gegründeten Partei Ano („Ja“) könnte er mit seinen Gefolgsleuten am Ende dieser Woche zur zweitstärksten Kraft im Prager Abgeordnetenhaus werden – mehr als 16 Prozent sagen ihm Meinungsforscher voraus, und das, obwohl er keine politische Erfahrung hat.

Sein Wahlkampfauftritt in der böhmischen Stadt Usti folgt dem gleichen Schema, nach dem der Milliardär in allen größeren Städten aufgetreten ist: Er mietet ein Kongresszentrum, macht Werbung für seinen Auftritt und zieht dann zusammen mit einer Handvoll Spitzenkandidaten zwei Stunden lang vom Leder: „Dieses Land“, ruft er in Usti, „hat keine Strategie für nichts: Nicht für die Wirtschaft, nicht für den Verkehr, nicht für die Bildung, nicht für das Gesundheitswesen – nichts! Alles ändert sich je nachdem, welche Partei gerade an der Macht ist. Aber auf einige Grundprinzipien sollten wir uns doch alle verständigen!“ Beifälliges Murmeln ist im Saal zu hören, Andrej Babis trifft den richtigen Ton. Er ist ein hagerer Mann, umgeben von einer Heerschar von Leibwächtern, der eher trocken als charismatisch wirkt. Ein Selfmade-Unternehmer, wie er betont: Aus dem Nichts hat Babis einen Agrar- und Chemiekonzern mit 28 000 Mitarbeitern aufgebaut – und auf diesem Erfolg fußt sein Wahlkampf: „Ich will anfangen, dieses Land zu führen wie eine Firma. Das heißt, anständig zu wirtschaften und den gesunden Menschenverstand einzusetzen. Ich habe gelernt, dass eins und eins zwei ergibt.“ Konkrete Inhalte bietet er seinen Wählern nicht an, allein die Aussicht auf einen straffen Kurs in der Politik sichert ihm viel Zustimmung. Nicht einmal auf die Frage, ob die Partei rechts oder links im politischen Spektrum einzuordnen ist, will Babis eine konkrete Antwort geben.

Die Tschechen bestimmen in vorgezogenen Neuwahlen ihr Parlament, nachdem die Mitte-rechts-Koalition unter Premier Petr Necas wegen einer Abhöraffäre zurücktreten musste. Die an der Koalition beteiligten konservativen Parteien bereiten sich auf eine Niederlage vor. Besonders die Bürgerdemokraten aus der ODS, die als Volkspartei stets zu den größten Kräften gezählt hatte, könnte Umfragen zufolge auf gerade einmal acht Prozent der Wählerstimmen kommen. Die Partei ist vor allem durch Personalquerelen ausgelaugt. Außerdem schadet ihr der Ruf, dass dubiose Regionalfürsten, deren Namen im Zusammenhang mit millionenschweren Korruptionsdelikten genannt werden, Einfluss auf den Kurs der Partei nehmen. Die ODS könnte erstmals von ihrem Koalitionspartner Top09 überholt werden. Diese Partei wurde erst vor vier Jahren vom früheren Außenminister Karel Schwarzenberg gegründet.

Wahlsieger dürften die Sozialdemokraten (CSSD) werden. Sie liegen in den Umfragen der Meinungsforscher bei etwas mehr als 25 Prozent. Die unreformierten Kommunisten kommen bei den Vorhersagen auf einen Wert zwischen 13 und 16 Prozent und könnten damit zu wichtigen Partnern der CSSD werden. Beobachter gehen davon aus, dass es zu einer sozialdemokratischen Regierung unter kommunistischer Duldung kommen könnte.

Eine herausgehobene Rolle im Wahlkampf spielt Präsident Milos Zeman. Der Linkspopulist, der erst im März sein Amt angetreten hatte, mischt sich trotz seiner vor allem repräsentativ angelegten Funktion aktiv in das politische Geschehen ein. Er warnt vor einer neuen Mitte-rechts-Regierung und macht aus seiner persönlichen Präferenz keinen Hehl: Er wünsche sich eine sozialdemokratische Regierung unter kommunistischer Duldung, verkündete der 68-Jährige in einem Interview, das er ausgerechnet der Parteizeitung der Kommunisten gab.

Zeman war von 1998 bis 2002 tschechischer Premier und Vorsitzender der Sozialdemokraten, doch anschließend trennte er sich im Streit von der Partei. Vor einigen Jahren gründete er seine eigene Partei, die „Zemanovci“ (übersetzt etwa „Die Zemänner“). Bei den letzten Wahlen scheiterte sie an der Fünf-Prozent-Hürde, seit Zemans Amtsantritt befindet sie sich jedoch im Aufwind.

Wenn seine Partei es nun ins Parlament schaffen sollte, könnte sie Juniorpartner der Sozialdemokraten werden. Deren Führung allerdings ist darüber uneins: Der Vorsitzende Bohuslav Sobotka ging in der Vergangenheit mehrfach auf Distanz zum Präsidenten Milos Zeman und zählte lange zu den Kritikern einer Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Seine Position ist allerdings geschwächt; in der Partei gewinnt der Flügel um Vizechef Michal Hasek an Einfluss, der für eine größere Nähe zu den Positionen des Präsidenten wirbt.

Einigkeit unter den Parteien herrscht nur in einer Frage: Mit der Gruppierung des Milliardärs Andrej Babis werde man nicht koalieren. Darüber macht sich Babis noch keine Gedanken: Zu Koalitionsoptionen äußert er sich nicht. Seine Zuhörer in Usti interessiert das ohnehin kaum; sie haben andere Fragen an den Milliardär, dem ein Ruf als instinktsicherer Investor vorauseilt: „Was würden Sie Unternehmern raten, damit sie erfolgreich sind?“, will ein junger Mann im dunklen Anzug wissen. Babis stutzt kurz, dann antwortet er: „Wer arbeiten will, kann erfolgreich werden. Das ist eine Frage von Fleiß, Energie, Träumen und Hartnäckigkeit.“ Diese Hartnäckigkeit, verspricht Babis dem applaudierenden Publikum noch, werde er auch im Parlament beibehalten.

Einen seiner letzten Schachzüge sehen Beobachter indes mit Beunruhigung: Babis ist dabei, die beiden größten seriösen Tageszeitungen Tschechiens und mehrere Onlinemedien zu kaufen. Mit seinen politischen Ambitionen habe das natürlich nichts zu tun, beeilt er sich zu sagen: Es sei eine rein geschäftlich motivierte Entscheidung.

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