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Tschetschenien: Radikale am Rand

Bei einem Angriff schwer bewaffneter Terroristen auf das Parlament der russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien sind mindestens sechs Menschen getötet worden. Wer sind die Mächtigen dort?

Die Besorgnis über den Anschlag in Grosny reichte bis nach Moskau. Die Duma, das russische Parlament, änderte deshalb kurzfristig ihre Tagesordnung. Am Dienstagvormittag gegen 8.45 Uhr Ortszeit (6:45 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit) waren bewaffnete Untergrundkämpfer in den Regierungskomplex in Grosny eingedrungen, wo sich auch der Sitz des regionalen Parlaments befindet, hatten dort das Feuer eröffnet, sich anschließend verbarrikadiert und mehrere Sprengsätze gezündet.

Um „die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen“ hätten Spezialkräfte der Polizei ganze 15, maximal 20 Minuten gebraucht, brüstete sich Tschetschenen-Präsident Ramzan Kadyrow, der die Sonderoperation persönlich leitete und anschließend Premier Wladimir Putin Bericht erstattete. Ihn hatte Kadyrow mehrfach als einzigen Menschen bezeichnet, dem er sich bedingungslos unterordne. Was ihn nicht daran hinderte, die Wahrheit etwas zurechtzubiegen. Nach Berichten kritischer Medien dauerten die Kämpfe geschlagene zwei Stunden, anfangs hieß es sogar, die Terroristen hätten das Parlament vermint.

Höchst peinlich für Moskau war dabei auch, dass der ohnehin extrem umstrittene Innenminister Raschid Nurgalijew gerade in Grosny zu Besuch war. Eigentlich wollte er sich dort über die Arbeits- und Lebensbedingungen seiner Beamten informieren. Der Zwischenfall zwang ihn und Kadyrow zu einer Krisensitzung der Regierung. Denn der Anschlag machte einmal mehr deutlich, wie fragil Frieden und Stabilität sind, die Moskau sich nach fast zehnjährigen Krieg mit milliardenschweren Investitionen und umfassender Autonomie für die einstige Rebellenrepublik erkaufte. Tschetschenien hatte sich 1991 von Russland losgesagt. 1994 startete Russland seinen ersten Tschetschenien-Feldzug, doch musste die russische Armee nach 21 Monaten das Feld geschlagen räumen. Im Oktober 1999 marschierten erneut russische Soldaten in Tschetschenien ein.

Formell war Tschetschenien erst 2003 wieder in die Russische Föderation zurückgekehrt, als der von Putin vier Jahre zuvor ernannte Republikchef Ahmad Kadyrow – Ramzans Vater – durch Wahlen und Abstimmung über eine neue Verfassung notdürftig legitimiert wurde.

Nur ein paar Monate später wurde Kadyrow senior Opfer eines Anschlags. Es war daher auch Rache, die Ramzan, Nachfolger von Moskaus Gnaden, dazu bewog, jene Separatisten, die sein Amnestie-Angebot – Verzicht auf bewaffneten Widerstand gegen Straffreiheit – ablehnten, kompromisslos zu verfolgen. Die Bilanz ist durchwachsen. Der radikal-islamische Flügel der Separatisten verlagerte seine Aktivitäten von Tschetschenien in die Nachbarregionen. Nach Inguschetien und Dagestan, wo die Masse der Bevölkerung in bitterster Armut lebt und daher mit den Islamisten sympathisiert, die soziale Gerechtigkeit versprechen. Tschetschenien dagegen, wo Kadyrow gegen politische Gegner und Bürgerrechtler mit ähnlich harten Mittel vorgeht wie gegen die Separatisten, verfiel in eine Art Schreckstarre. Auch schien es bisher zumindest, dass die noch etwa 500 aktiven Kämpfer im Hochgebirge, deren Gruppen ohne zentrales Kommando operieren und häufig miteinander verfeindet sind, zu nennenswerten Aktivitäten nicht mehr in der Lage sind.

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