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Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel.

© Kay Nietfeld/dpa

TTIP und Ceta: Brexit-Vorbild - Stänkert jetzt auch Gabriel gegen die EU?

Die EU will die nationalen Parlamente nicht über Ceta abstimmen lassen. Der Vizekanzler findet das "töricht", nennt aber keine Argumente. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wie war das nochmal mit der Unterscheidung zwischen "guten" und "schlechten" Europäern? Rund um das Brexit-Referendum haben viele Deutsche den Briten gerne vorgehalten, es gebe schließlich Verträge und die seien zu respektieren. "Rosinenpickerei" - nach dem Motto: diese Vereinbarung gefällt uns, jene nicht, und wir halten uns nur an die, die uns passt - wurde zu Recht für unakzeptabel erklärt.

Europäisches Recht ist keine Frage des Gefühls

Europäisches Recht ist keine Angelegenheit, die man nach Gefühl und Wellenschlag beurteilt.

Nun gefällt vielen Deutschen bis hinauf zum Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel eine europäische Vorgabe nicht: Die EU-Kommission mit Jean-Claude Juncker an der Spitze hat entschieden, dass das Freihandelsabkommen mit Kanada, Ceta, allein in die EU-Kompetenz falle und folglich keine Abstimmung in den nationalen Parlamenten erfolgen solle. In rein europäischen Angelegenheiten ist das Europäische Parlament zuständig. Gabriel nennt das "unglaublich töricht". Und er droht gleich zweifach: Ohne Bundestags-Votum werde er die Abstimmung im EU-Rat der nationalen Handelsminister verweigern. Und das transatlantische Wirtschaftsabkommen TTIP sei dann auch gleich "tot".

Handelsverträge fallen in die Kompetenz der EU

Macht Sigmar Gabriel, der eben noch Boris Johnson scharf kritisiert hatte, jetzt selbst den Boris Johnson? Gegen Europa stänkern und Emotionen schüren, obwohl er als Fachminister sehr genau weiß, dass dies eine rechtliche Frage der Zuständigkeit ist? Die Handelspolitik und das Aushandeln von Handelsverträgen haben Europas Nationalstaaten schon lange an die EU abgetreten. Freiwillig.

Mit dem Zusammenwachsen Europas ist aus der dreigliedrigen Kompetenzverteilung - Kommunen und Landkreise, Bundesland, Bundesebene - eine viergliedrige geworden. Die EU kam als vierte Ebene hinzu. In der Bundesrepublik ist, zum Beispiel, Verteidigungspolitik eindeutig Bundesangelegenheit. Bildung ist Ländersache. Wo kämen wir dahin, wenn ein Bürgermeister und Landesminister plötzlich behaupten würde, kein Verteidigungsbudget und kein Auslandseinsatz dürfe mehr beschlossen werden, ohne dass das Kommunalparlament oder der Landtag abgestimmt hat?

Und wo kämen wir in Europa dahin, wenn jeder nationale Politiker nun anfangen würde, eindeutig geregelte EU-Kompetenzen wieder in Frage zu stellen?

Ist Ceta ein "gemischtes Abkommen"?

Für Handelsverträge ist die EU zuständig. Nicht die Nationalstaaten. Es gibt allerdings eine Variante, bei der die nationalen Parlamente beteiligt werden müssen - dann nämlich, wenn es sich um ein "gemischtes Abkommen" handelt. Das ist dann der Fall, wenn die Inhalte nicht nur in EU-Angelegenheiten sondern auch substanziell in nationale Kompetenzen eingreifen.

Wenn Gabriel solche - sachlichen! - Bedenken hat, soll er es sagen. Und begründen, warum Ceta ein gemischtes Abkommen ist. Wenn er das überzeugend tut, hat er Unterstützung verdient. Wenn er aus der Frage hingegen eine emotionale Affäre machen möchte, in der Gefühl und Wellenschlag und antieuropäische Untertöne die fehlenden Argumente ersetzen sollen, dann sollten ihm alle, denen Europa am Herzen liegt, entgegentreten.

Hört auf, Europa zu beschädigen!

Europa, das zeigen diese Tage im Übermaß, ist viel zu wertvoll, um es weiter zu beschädigen. Das gilt für Juncker, der sich seiner Sache sicher sein muss, wenn er Ceta zu einer rein europäischen Angelegenheit erklärt. Das gilt ebenso für Gabriel.

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