zum Hauptinhalt

Türkei: "Epos großen Muts"

In der Türkei wird die Eroberung Konstantinopels verklärt. Das Geschichtsmuseum passt zum kritiklosen Umgang der Türken mit der eigenen Geschichte. Istanbuls Bürgermeister Kadir Topbas pries die Eroberung Konstantinopels in einem Grußwort für das Museum als "Epos eines außerordentlichen Heldenmuts".

Kanonenschüsse donnern, Pferde wiehern, der Schlachtenlärm kommt von allen Seiten. Auf den Zinnen der Stadtbefestigung von Konstantinopel wird verbissen gekämpft, Pfeile hageln von den Türmen herab, die griechischen Verteidiger schleudern lodernde Brandbomben auf die osmanischen Belagerer herab. Doch es ist aussichtslos. Es ist der 29. Mai 1453. Der entscheidende Angriff der muslimischen Osmanen auf die Hauptstadt des christlichen Byzantinischen Reiches hat begonnen.

„Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen“, sagt Ismail Uysal. Der 22-Jährige ist sichtlich beeindruckt vom „Panorama 1453 Geschichtsmuseum“ von Istanbul. Hier wird auf einem 2350 Quadratmeter großen Rundum-Gemälde in einem kuppelartigel Saal der Angriff auf Konstantinopel als 360-Grad-Show präsentiert. Zwischen der Besucherplattform und dem Gemälde ist das Schlachtfeld nachgebildet, aus Lautsprechern dringt Kriegsgeheul und Waffenklirren.

Besucher des Museums sollen sich so fühlen wie Uysal: als seien sie mittendrin in einer heldenhaften Schlacht. „So kamen unsere Vorfahren hierher, nach Istanbul“, sagt Uysal ergriffen – das Ende des Byzantinischen Reiches als gottgewollter Triumph der Osmanen.

Für westliche Augen wirkt dies und manch anderer Aspekt des Gemäldes kitschig oder gar chauvinistisch. Aber Ausländer sind selten im Panorama-Museum. Und die türkischen Gäste sind begeistert. Seit seiner Eröffnung Anfang des Jahres haben sich Zehntausende auf der Besucherplattform gedrängt, an manchen Tagen muss der Zugang zum Gemälde wegen Überfüllung gestaffelt werden.

Das Museum passt zum kritiklosen Umgang der Türken mit der eigenen Geschichte. Istanbuls Bürgermeister Kadir Topbas pries die Eroberung Konstantinopels in einem Grußwort für das Museum als „Epos eines außerordentlichen Heldenmuts“. Topbas ist ein Mitglied der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP, der vorgeworfen wird, über die Erinnerung an die angeblich so glorreiche Osmanenzeit eine neue muslimisch-türkische Identität stiften zu wollen.

Die unkritische Bewunderung für die türkischen Vorfahren beschränkt sich aber nicht auf die AKP oder die Museumsbesucher, sondern ist selbst in akademischen Kreisen anzutreffen. Bei einer Veranstaltung in Ankara sagte der Geschichtsprofessor Mehmet Celik letztes Jahr, jedes Land habe in seiner Geschichte dunkle Kapitel – nur die Türkei nicht: „In der Geschichte der türkischen Nation gibt es nicht einen einzigen dunklen Fleck.“ Unterstützt wird diese Sicht der Dinge durch das türkische Schulsystem. Dort geht es vor allem ums Auswendiglernen und ums Abschreiben aus Lehrbüchern, hat die in den USA ausgebildete Istanbuler Historikerin Sara Nur Yildiz beobachtet. „Sie bringen den Leuten bei, stolz darauf zu sein, dass sie Türken sind.“ Doch Kritiklosigkeit im Umgang mit der eigenen Geschichte ist zu einem Problem der modernen Türkei geworden, sagen Kritiker, weil es der Aussöhnung mit Nachbarn Grenzen setzt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false