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Türkei: Erdogan wirbt wieder um Europa

Der türkische Premier zählt in Brüssel seine Reformen auf. EU-Kommissions-Chef Barroso sieht neuen Schwung in den Verhandlungen.

Brüssel/Istanbul - Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und der Präsident der EU-Kommission Jose Manuel Barroso wollen die ins Stocken geratenen Beitrittsgespräche wieder in Gang bringen. „Unser strategisches Ziel ist die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union“, erklärte Erdogan, der erstmals nach vier Jahren zu Gesprächen nach Brüssel gekommen ist.

Tatsächlich stecken die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei seit Monaten in der Sackgasse. Die entscheidenden Kapitel der Verhandlungen wurden von der EU auf Eis gelegt, weil die Türkei sich hartnäckig weigert, das EU-Mitgliedsland Zypern anzuerkennen und die bestehenden vertraglichen Vereinbarungen zwischen Ankara und Brüssel auf alle neuen EU-Mitgliedsstaaten anzuwenden. Zypriotischen Schiffen und Flugzeugen wird weiter der Zugang zu türkischen Häfen und Flughäfen verweigert. Über weniger wichtige, technische Kapitel wird zwar verhandelt. Seit Monaten geht es aber auch dort nicht mehr voran.

Selbst bei den inneren Reformen in der Türkei, die als Voraussetzung für eine Annäherung an die EU gelten, scheint seit fast zwei Jahren ein Stillstand eingetreten zu sein. Die EU hatte im November vergangenen Jahres in ihrem jährlichen „Fortschrittsbericht“ eine kritische Bilanz gezogen: Nach wie vor seien die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit und die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei nicht ausreichend gewährleistet. Tatsächlich ist der umstrittene Strafrechtsparagraph 301 weiter in Kraft, der „eine Beleidigung der türkischen Nation“ unter Strafe stellt und in der Praxis dazu diente, kritische Journalisten und Schriftsteller mundtot zu machen.

Ministerpräsident Erdogan verwies am Montag in Brüssel dagegen auf die Fortschritte in seinem Land. Seit einigen Wochen dürfen Radio- und Fernsehsender auch Programme in kurdischer Sprache ausstrahlen – was bisher streng verboten war. Erdogan und Barroso sprachen sich nach ihrem Treffen in Brüssel dafür aus, die Verhandlungen wieder mit neuer Energie aufzunehmen. „Wir wollen keine Blockaden“, versicherte EU-Kommissionspräsident Barroso. Die durch den russischen Gaslieferstopp ausgelöste gegenwärtige Energiekrise in der EU zeige, wie wichtig die Türkei als Transitland für Öl- und Gaspipelines sei, meinte Barroso. Die EU plant seit Langem eine Gaspipeline von den Öl- und Gasförderländern am Kaspischen Meer über die Türkei auf den Balkan und nach Europa. Thomas Gack

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