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Das Parlament in Ankara nimmt die Arbeit auf, eine neue Regierung ist aber noch nicht in Sicht.

© dpa

Türkei: Feilschen, fordern – und sich vor dem Wähler fürchten

In Ankara kommt das neue türkische Parlament zusammen - doch eine Regierungskoalition zeichnet sich bislang kaum ab.

Als Alterspräsident Deniz Baykal am Mittwochnachmittag in Ankara die erste Sitzung des neuen türkischen Parlaments eröffnete, begann mit der neuen Legislaturperiode auch die heiße Phase der Suche nach einer neuen Regierung für das wichtige NATO-Land am Rande der Krisenregion Nahost. Seit die bisherige Regierungspartei AKP bei der Wahl am 7. Juni ihre Mehrheit verlor, sondieren die vier im Parlament vertretenen Parteien die Möglichkeiten zur Bildung einer Koalitionsregierung. Dabei wird gefeilscht und gefordert – und Präsident Recep Tayyip Erdogan droht bereits mit Neuwahlen im November.

Baykal, 76, rief die Parteien zur Zusammenarbeit auf. Seit der Gründung der türkischen Republik im Jahr 1923 ist es noch nie vorgekommen, dass das Land nach einer Wahl ohne Regierung blieb und Neuwahlen ansetzen musste. Genau das könnte nun aber geschehen, wenn sich die Parteien in den nächsten sechs Wochen nicht einigen können und Erdogan die Türken erneut zu den Urnen ruft. Sollten die Politiker die vor ihnen liegende Aufgabe nicht lösen, bleibe nur noch das Volk, sagte der Präsident am Wochenende.

Erdogan könnte Neuwahlen wollen

Ein Teil der Medien sagt Erdogan nach, er strebe Neuwahlen an, um der AKP auf diese Weise wieder eine eigene Parlamentsmehrheit zu verschaffen. Doch diese Taktik wäre für Erdogan sehr riskant. Denn die Wähler könnten Erdogans AKP für die gescheiterte Regierungsbildung verantwortlich machen und erneut abstrafen.

Zunächst wird Erdogan in den kommenden Tagen den amtierenden Ministerpräsidenten und AKP-Chef Ahmet Davutoglu als Vorsitzenden der größten Parlamentsfraktion mit der Regierungsbildung beauftragen. Nach Presseberichten tendiert Davutoglu zu einer Großen Koalition mit der zweitstärksten Kraft, der säkularistischen CHP. Inhaltlich liegen die CHP und die islamisch-konservative AKP allerdings weit auseinander. Zudem gibt es in der CHP starken Widerstand gegen ein Bündnis mit der AKP, die in den vergangenen Jahren unter Erdogan wachsende autoritäre Tendenzen gezeigt hatte.

 Regieren demnächst die Nationalisten mit?

Möglichkeit Nummer Zwei ist eine Koalition zwischen der AKP und der Nationalistenpartei MHP, die von einigen AKP-Politikern gefordert wird. Doch besteht die MHP darauf, dass die Friedensgespräche zwischen Regierung und den PKK-Rebellen beendet werden. Sowohl MHP als auch CHP hatten ihren Wählern außerdem versprochen, Korruptionsermittlungen gegen vier ehemalige AKP-Minister neu zu beleben und Erdogan zu zwingen, sich als Präsident aus der Tagespolitik herauszuhalten.

Eine dritte Möglichkeit – eine zeitlich begrenzte Minderheitsregierung von CHP und MHP mit Duldung durch die Kurdenpartei HDP – gilt wegen der großen Differenzen zwischen den Parteien als unwahrscheinlich. Eine rechnerisch auch mögliche Koalition von AKP und HDP ist ebenfalls kaum vorstellbar, nachdem die AKP im Wahlkampf die Kurdenpartei schwer beschimpft hatte.

Erste Hinweise auf die künftige Machtkonstellation wird es bei der Wahl des Parlamentspräsidenten geben, die am Wochenende beginnen soll. Sollten sich zwei oder mehr Parteien bis dahin auf eine Zusammenarbeit geeinigt haben, dürften sie den Parlamentschef gemeinsam bestimmen.

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