zum Hauptinhalt

Türkei: Grummeln statt putschen

Das türkische Militär lehnt Außenminister Gül als Präsidenten ab – aber mehr als einen Boykott kann es sich nicht leisten.

Angesichts der absehbaren Wahl des türkischen Außenministers Abdullah Gül zum Staatspräsidenten wartet das Land gespannt auf die Reaktion der Militärs. Werden sie putschen, um Gül zu verhindern? Oder nur grummeln? Erste Äußerungen aus dem Generalstab lassen erwarten, dass es zwar Krach geben könnte, aber keinen Staatsstreich: Eine politische Eiszeit zwischen Präsident und Armee ist wahrscheinlicher als rollende Panzer.

An diesem Montag findet im Parlament die erste Runde der Präsidentenwahl statt; spätestens im dritten Wahlgang am 28. August dürfte Gül, Mitglied der islamischen Regierungspartei AKP, zum Staatspräsidenten gekürt werden. „Alles, was zu sagen war, ist gesagt“, antwortete Generalstabschef Yasar Büyükanit auf Fragen nach einer Bewertung von Güls Kandidatur. Damit spielte er auf seine im April formulierte Forderung an, der neue Präsident müsse eine Person sein, die voll und ganz zum Laizismus stehe. Er werde ja eh nur falsch verstanden, fügte der General hinzu: „Soll ich noch einen Handstand machen?“ Das türkische Militär ist traditionell für eine strikte Trennung von Religion und Staat.

Büyükanit habe umrissen, wie die Reaktion der Militärs aussehe, kommentierte die Zeitung „Hürriyet“: Erst einmal abwarten, wie sich Gül im Präsidialamt verhalten wird. Die Generäle hätten eingesehen, dass ihre politischen Interventionen in der Vergangenheit für sie selbst mehr Schaden als Nutzen gebracht hätten, schrieb die Zeitung „Vatan“. Gül selbst scheint davon überzeugt zu sein, dass es nicht zum Konflikt kommt. Auf die Frage, ob er Streit mit der Armee erwarte, antwortete er: „Auf keinen Fall.“ In den vergangenen Jahren habe er als Außenminister und Vorsitzender des türkischen Anti-Terror-Ausschusses eng mit den Militärs zusammengearbeitet.

Gegner werfen Gül heimlichen Islamismus vor; der für seine europapolitischen Reformen bekannte Außenminister weist dies zurück. Bei seiner Nominierung unterstrich Gül seine Entschlossenheit, als Präsident für das säkulare System der Türkei einzustehen. Ende April hatte der Generalstab mit einem Putsch gedroht, falls Gül zum Präsidenten gewählt werden sollte. Diese Drohung trug am 22. Juli zum Wahlerfolg von Güls Partei AKP bei, weil viele Wähler über die Intervention der Militärs verärgert waren.Mit einem Putsch würden die türkischen Generäle nicht nur die Verantwortung für das dann absehbare Ende der türkischen EU-Bewerbung auf sich laden, sondern auch den Willen von 47 Prozent der Wähler im eigenen Land ignorieren. Die auf den Respekt der Öffentlichkeit bedachten Militärs dürften deshalb auf einen klassischen Staatsstreich verzichten.

Stattdessen sind für die Haltung der Armee zu Gül mehrere Varianten denkbar. Die Armeeführung könnte Gül öffentlich verwarnen, ihre Wachsamkeit hinsichtlich islamistischer Tendenzen unterstreichen und mit drohenden Untertönen die von ihr beanspruchte Wächterrolle über den Staat betonen. Sie könnte ihre Kontakte zu Gül auf das Notwendigste beschränken. Oder ihn boykottieren. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Generäle Protest durch Nichterscheinen zum Ausdruck bringen. Anfang August blieb die Armeeführung entgegen der Tradition der konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments fern, weil ihr die Präsenz der Kurdenpartei DTP in der Volksvertretung nicht passt. Ein Boykott der Armee gegen Gül wäre gemessen an den früheren innenpolitischen Interventionen der Militärs gemäßigt: Seit 1960 haben die Generäle in der Türkei vier gewählte Regierungen von der Macht verdrängt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false