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Türkei: Hinweis auf EU-Standards staatsfeindlich?

In der Türkei gibt es einen Verbotsantrag gegen die Erdogan-Partei - mit seltsamem Belastungsmaterial.

Den Wert 4,9 auf der Richterskala erreichte ein Erdbeben, das am Wochenende die Wände in der türkischen Hauptstadt Ankara wackeln ließ. Wesentlich stärker wurde die Türkei allerdings durch ein gleichzeitiges politisches Erdbeben erschüttert: einen ganz offensichtlich politisch motivierten Verbotsantrag gegen die Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Als Belastungsmaterial in diesem Verbotsantrag wird sogar der Hinweis der AKP auf Standards der Europäischen Union bei der Religionsfreiheit angeführt.

In seiner am Sonntag von türkischen Medien veröffentlichten Anklageschrift argumentiert Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya, die AKP wolle einen islamistischen Gottesstaat errichten und verstelle sich, um dieses Ziel zu verschleiern. Mit dem Grundvorwurf der Täuschung entledigt sich der Chefankläger der Pflicht, schlagkräftige Beweismittel vorlegen zu müssen: Selbst Demokratisierungsvorhaben wie etwa die Ausarbeitung einer neuen Verfassung werden von der Anklage als Schritte in den Fundamentalismus gewertet.

Der vor kurzem gefasste Beschluss zur Freigabe des Kopftuches für Studentinnen ist für Yalcinkaya freilich der wichtigste Hinweis auf die Scharia-Absichten der AKP. Yalcinkaya hält dem derzeitigen Staatspräsidenten Abdullah Gül vor, er habe die Meinung vertreten, dass in der Türkei in Sachen Kopftuch eines Tages dieselben Standards gelten würden wie in der Europäischen Union; anders als bisher in der Türkei dürfen Studentinnen in Westeuropa mit Kopftuch in den Hörsaal.

Selbst die Anwendung terroristischer Gewalt sei bei der AKP nicht auszuschließen, schreibt Yalcinkaya – eine abenteuerliche Behauptung, die bisher nicht einmal von den schärfsten politischen Gegnern Erdogans ins Feld geführt wurde.

Der europäische Grünen-Politiker Joost Lagendijk sagte, die Gegner der AKP hätten die Regierungspartei nicht an der Wahlurne besiegen können und verlegten sich deshalb jetzt auf juristische Mittel. Die türkische Zeitung „Sabah“ warf Yalcinkaya vor, er wolle wenige Monate nach dem Wahlsieg der AKP das Wählervotum „mit den Mitteln der Justiz korrigieren“.

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