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Türkei: Kopftuch-Frauen demonstrieren für das Recht auf Minirock

In Anatolien haben islamisch verhüllte Frauen für das Recht auf Minirock und tiefes Dekolleté demonstriert. Sie richteten sich gegen die Aussage eines Professors zum Thema sexuelle Gewalt.

In einer der konservativsten Städte Anatoliens haben islamisch verhüllte Frauen für das Recht ihrer säkulären Geschlechtsgenossinnen demonstriert, im Minirock und tief ausgeschnittener Bluse auf die Straße zu gehen. Die ungewöhnliche Kundgebung in Konya richtete sich gegen Aussagen eines Theologieprofessors, der gesagt hatte, Frauen mit tiefem Dekolleté müssten sich nicht wundern, wenn sie vergewaltigt würden.

Mit seiner Schuldzuweisung an Frauen, die seiner Meinung nach nicht sittsam genug gekleidet sind, hat Professor Orhan Ceker aus Konya in der Türkei einen Proteststurm ausgelöst. Dass sich aber sogar streng verhüllte Frauen aus dem konservativen Lager an der Kritik beteiligen, hat die türkische Öffentlichkeit überrascht. Selbst der islamische Schleier schütze Frauen nicht vor Missbrauch und Vergewaltigung, stand auf Schildern, die von der Frauengruppe in Konya in die Höhe gehalten wurden.

Ayfer Erel von der Frauenorganisation Sefkat-Der in Konya ging mit tief verschleierten Frauen auf die Straße, die Opfer von Gewalt wurden und in Frauenhäusern leben müssen. Sie selbst trage das islamische Kopftuch und sei trotzdem in einem Bus sexuell belästigt werden, sagte Erel. Der Professor solle seine Aussage schleunigst zurücknehmen. Die ebenfalls Kopftuch tragende Jura-Studentin Meryem Ilayda Atlas schrieb in einem Brief an die Zeitung „Radikal“, der Herr Professor wolle wohl, das Frauen ganz zu Hause bleiben sollten. „Wer rausgeht, ist nach seiner Logik schon halb schuld, wenn ihr etwas geschieht.“

Unterstützung erhielten die Kritiker des Professors vom Chef des türkischen Religionsamtes, Mehmet Görmez. Die Vorschriften des Islam dürften nicht als Vorwand zur Rechtfertigung sexueller Gewalt missbraucht werden, sagte Görmez. Sexueller Missbrauch und Vergewaltigung seien nicht nur Verbrechen gegen Frauen, sondern gegen die Menschlichkeit. Auch Frauenministerin Selma Aliye Kavaf erklärte, es sei falsch, die Kleidung einer Frau als Grund für eine sexuelle Straftat heranzuziehen. Die Opposition in Ankara verlangt die Amtsenthebung von Professor Ceker, gegen den inzwischen ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren läuft. Ceker ließ unterdessen verlauten, er sei falsch verstanden worden.

Laut Presseberichten wird in der Türkei alle vier Stunden eine Vergewaltigung begangen oder versucht. Die Regierung in Ankara denkt deshalb über eine chemische Kastration von sexuellen Mehrfachtätern nach. Langsam aber sicher setzt sich im Macho-Land Türkei die Einsicht durch, dass Gewalt gegen Frauen keine Privatsache der Beteiligten und kein Kavaliersdelikt ist und dass auch Frauenfeindlichkeit in der Öffentlichkeit bekämpft werden muss. Nach dem Protest von Frauenverbänden musste sich jetzt Verkehrsminister Binali Yildirim öffentlich für einen frauenfeindlichen Artikel im Monatsmagazin der türkischen Eisenbahn entschuldigen. Vor zehn Jahren wäre das keinem türkischen Minister in den Sinn gekommen.

Dennoch gibt es nach wie vor mehr als genug Türken, die wie der Theologieprofessor Ceker bei sexueller Gewalt die Schuld eher bei Frauen suchen als bei männlichen Tätern. Ein Gericht im südostanatolischen Mardin billigte jetzt 26 Männern, die ein zur Tatzeit 13-jähriges Mädchen vergewaltigt hatten, großzügige Strafnachlässe zu. Zur Begründung hieß es unter anderem, das Kind habe sich aus eigenem Willen mit den Männern eingelassen.

Die Männer waren ‚Kunden’ bei zwei Frauen, die das Kind zur Prostitution zwangen. Anders als die Freier bekamen die Zuhälterinnen die volle Härte des Gesetzes zu spüren und wurden zu jeweils neun Jahren Haft verurteilt – die Männer werden weniger als die Hälfte dieser Zeit im Gefängnis zubringen. Das „lasterhafte Verhalten“ der beiden Frauen mache die schwerere Strafen erforderlich, erklärte das Gericht. Im Falle der männlichen Vergewaltiger war von „lasterhaft“ keine Rede.

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