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Kurdische Kämpfer.

© AFP

Türkei: Kurdenrebellen drohen mit Rückkehr zur Gewalt

Der Friedensprozess gerät ins Stocken. Die PKK setzt der Regierung in Ankara ein Ultimatum für politische Reformen. Ein heikler Punkt ist das Wahlrecht mit seiner Zehnprozenthürde.

Seit dem Frühjahr ziehen sich die Kämpfer der kurdischen PKK-Rebellen aus der Türkei zurück, während ihr inhaftierter Chef Abdullah Öcalan mit dem türkischen Staat über eine politische Lösung für den Kurdenkonflikt verhandelt. Nennenswerte Gefechte gibt es seitdem im Kurdengebiet nicht mehr, die Hoffnung auf Frieden ist so groß wie nie seit dem Beginn der Gewalt vor fast 30 Jahren. Doch jetzt gerät der Friedensprozess ins Stocken. Die PKK droht mit einer Wiederaufnahme der Kämpfe, falls die Regierung bis zum 1. September keine Reformen zur Stärkung kurdischer Rechte präsentieren sollte.

 Premier Erdogan zögert

Trotz zahlreicher Gespräche zwischen Öcalan und dem türkischen Geheimdienst MIT seit Ende des vergangenen Jahres ist unklar, welche Zugeständnisse der türkische Staat den Kurden machen wird, falls sich die PKK zu einem endgültigen Gewaltverzicht verpflichten sollte. Aus eigener Sicht hat die PKK mit dem Beginn des Rückzuges und dem seit dem Frühjahr geltenden Waffenstillstand eine Vorleistung erbracht. Nun wollen die Rebellen, dass Ankara ebenfalls etwas tut. Doch Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zögert. Für ihn geht es ein Jahr vor wichtigen Wahlen um die Frage, wie er mit handfesten Reformen auf die Kurden zugehen kann, ohne den Nationalisten allzu viel politische Munition zu liefern. Das Kurdenproblem werde nicht mit Privilegien für eine einzige Volksgruppe, sondern mit einem Mehr an Demokratie für alle Bürger gelöst, betonen Regierungspolitiker. Wie das funktionieren soll, ist offen.

 Der 1. September wird jetzt als Frist genannt

Bei der PKK hält sich das Verständnis für Erdogans Zwänge in Grenzen. Der auf der Gefängnisinsel Imrali einsitzende Öcalan erklärte Anfang der Woche während eines Besuches von Verwandten, die Regierung müsse sich bis zum 1. Oktober bewegen, sonst gerate der „Lösungsprozess“, wie die Friedensverhandlungen in der Türkei genannt werden, ins Trudeln. Einigen Berichten zufolge drohte Öcalan, sich ab Oktober aus dem Prozess zurückzuziehen. Nun legte der ranghohe PKK-Kommandant Cemil Bayik noch nach. Er warnte, nicht der 1. Oktober, sondern der 1. September sei die letzte Frist für die Regierung. Sollte sich bis dahin nichts tun, würden die Kurden sich wieder „verteidigen“ – das heißt: den bewaffneten Kampf wieder aufnehmen. Damit gerät der erste ernsthafte Versuch beider Seiten in Gefahr, einen Konflikt beizulegen, der seit des Beginns des PKK-Aufstandes 1984 mehr als 40000 Menschen das Leben gekostet hat.

 Kurdische Orte sollen kurdische Namen verwenden dürfen

Inzwischen ließ die Regierung die Öffentlichkeit und damit auch die PKK wissen, sie arbeite an einem Reformpaket. Doch ob die bisher bekannt gewordenen Vorhaben ausreichen werden, um den Friedensprozess zu retten, ist unsicher. Nach Presseberichten sollen kurdische Städte und Dörfer das Recht erhalten, ihre türkischen Namen abzulegen und ihre alten kurdischen Namen wieder zu verwenden. Lokalverwaltungen im Kurdengebiet werden demnach ihre Dienste auch in kurdischer Sprache anbieten dürfen, obwohl das Türkische einzige offizielle Amtsprache bleiben soll.

Ein besonders heikler Punkt ist die im internationalen Vergleich sehr hohe Zehnprozenthürde für den Parlamentseintritt von Parteien. Die legale Kurdenpartei BDP, deren Chefs in den vergangenen Monaten mehrmals mit Öcalan auf Imrali konferierten, fordert eine Senkung; die BDP, in Umfragen bei etwa sechs Prozent, konnte bisher nur über den Umweg nominell unabhängiger Kandidaten ins Parlament gelangen. Ob die Zehnprozenthürde mit dem erwarteten Reformpaket verändert wird, ist unklar. Vizepremier Bülent Arinc deutete solche Veränderungen an, doch laut Medienberichten sind entsprechende Überlegungen wieder vom Tisch. Das Reformpaket soll noch vor Ende des Fastenmonats Ramadan kommende Woche der Öffentlichkeit präsentiert werden. Sein Inhalt könnte für die Türkei sehr wichtig werden.

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