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© AFP

Türkei: Lauscher, Richter und Verschwörer

Machtkampf zwischen den säkularistischen Eliten der Türkei und Erdogans religiös-konservativer Regierung: Die Justiz wird immer mehr zum Knüppel im politischen Machkampf.

Sadullah Ergin passt auf, was er sagt, besonders am Telefon. Schließlich sei er in den vergangenen Jahren abgehört werden, sagte der heutige türkische Justizminister kürzlich. Auf die Frage eines Journalisten der Zeitung "Hürriyet", wie frei er sich denn heute als Minister am Telefon fühle, erwiderte Ergin mit einem Lächeln: "So frei wie jeder andere auch." In der Türkei bedeutet das: nicht besonders frei. Denn zwischen Bosporus und Ararat wird abgehört, was das Zeug hält.

Bei Gesprächen von rund 70.000 Menschen in der Türkei hören staatliche Stellen mit, hat Ergin zugegeben. Als ob das nicht genug wäre, sind auch illegale Horcher am Werk. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wurde nach eigenen Worten sechs Jahre lang abgehört - von wem, sagte er nicht. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft zapften rechtsgerichtete Verschwörer des Geheimbundes Ergenekon die Telefone von Richtern und Staatsanwälten an, um den Umsturz der Regierung Erdogan vorzubereiten.

Auch Richter wurden abgehört

Im Gegenzug ließ Ergins Ministerium im Zuge der Ermittlungen gegen Ergenekon mehrere Dutzend Juristen belauschen. Meldungen, wonach mehr als 11.000 Richter und Staatsanwälte zum Ziel eines Lauschangriffs wurden, wies der Minister aber zurück. Es seien nur 56 Fälle gewesen, bei denen Richter abgehört wurden - und zwar stets mit Genehmigung eines anderen Richters. "Einige Leute im Staat sind ständig damit beschäftigt, andere im Staat abzuhören", schrieb der Kolumnist Okay Gönensin in der Zeitung "Vatan".

Einige Regierungsgegner in den Gerichten gehen nun zum Gegenangriff über. Osman Kacmaz, ein Ankaraner Richter und bekennender Erdogan-Gegner, ordnete jetzt Durchsuchungsaktionen bei jener staatlichen Telekommunikationsbehörde an, die ihn selbst und andere Kritiker belauschte. Justizminister Ergin will Kacmaz aus dem Richterdienst entfernen lassen.

Fragwürdige und illegale Abhöraktionen

Das Hauen und Stechen im Fall Kacmaz sowie die vielen juristisch fragwürdigen und illegalen Abhöraktionen sind Teil des Machtkampfes zwischen den säkularistischen Eliten der Türkei und Erdogans religiös-konservativer Regierung. Die Erdogan-Gegner, die Justiz, Bürokratie und Militär dominieren, sehen im Premier und dessen frommer Anhängerschaft eine islamistische Gefahr, die es zu bannen gilt - koste es, was es wolle. Die Militärs drohten zuletzt vor zwei Jahren offen mit einem Putsch, die Justiz leitete ein Verbotsverfahren gegen Erdogans Regierungspartei AKP ein. Erdogans Regierung fühlt sich bedroht und geht gegen alle ihr verdächtig erscheinenden Gruppen und Institutionen vor, nicht immer mit sauberen Mitteln. Das Ergebnis werde ein Polizeistaat sein, sagt der frühere Generalstaatsanwalt Sabih Kanadoglu.

Weiter verschärft wurden die Spannungen zwischen der Regierung und der säkular geprägten Justiz durch ein kürzliches Urteil des Verwaltungsgerichtshofes in Ankara. Die Richter hoben eine Regelung auf, mit der die regierungsnahe Hochschulbehörde den Absolventen religiöser Mittelschulen den Zugang zu Universitäten erleichtern wollte. Die Zugangsbeschränkungen für Absolventen der so genannten Imam-Hatip-Schulen, zu denen auch Erdogan selbst gehört, waren Ende der 1990er Jahre auf Druck der Militärs eingeführt worden, um potenzielle Islamisten aus den Unis und damit aus führenden Positionen des Staates herauszuhalten.

Verbotsverfahren gegen Regierungspartei möglich

Nun sollen die Beschränkungen nach dem Willen der Richter wieder gelten. "Eine absolut ideologische Entscheidung" sei das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes deshalb, sagte Erdogan. Die Hochschulbehörde will gegen das Urteil in die Berufung gehen.

Die jüngsten Eskalationen könnten für Erdogan gefährliche Folgen haben: Schon wird über ein neues Verbotsverfahren gegen Erdogans Regierungspartei AKP spekuliert. Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya hat neue Ermittlungen gegen die Regierungspartei wegen des Vorwurfes illegaler Abhöraktionen eingeleitet. Yalcinkaya war im vergangenen Jahr mit dem Versuch gescheitert, die AKP von Verfassungsgericht verbieten zu lassen. Seitdem wird ihm nachgesagt, er hoffe auf eine neue Chance, und der Chefankläger tut wenig, um diesen Eindruck zu zerstreuen. Zwar wolle auch er kein neues Verbotsverfahren, beteuerte er in einem Zeitungsinterview. "Aber es gehört nun einmal zu meinen Aufgaben."

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