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Der türkische Regierungschef Erdogan und Staatspräsident Gül sitzen an einem Tisch.

© Reuters

Türkei nach der Wahl: Erdogan und Gül - Doppelspitze mit Problemen

In der türkischen Regierungspartei AKP knirscht es nach dem Sieg bei den Kommunalwahlen. Die Differenzen zwischen Premier Erdogan und Präsident Gül wachsen.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wird Staatspräsident, der derzeitige Staatschef Abdullah Gül wird dafür Regierungschef und alles wird gut – mit diesem Ämtertausch stellt sich die türkische Regierungspartei AKP die nächsten Monate vor. Doch es knirscht vernehmbar zwischen Erdogan und Gül. Auch Vizepremier Ali Babacan, ein ebenfalls wichtiger Mann in der AKP, ist offenbar unzufrieden mit Erdogans Kurs.

Spätestens seit seinem Sieg bei den Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag ist Erdogan der stärkste Kandidat für die Direktwahl des Staatspräsidenten am 10. August. Noch hat der 60-Jährige seine Bewerbung nicht offiziell verkündet, doch seine Berater erklären bereits, dass der um drei Jahre ältere Gül seinen Platz für Erdogan räumen würde. Schon im Jahr 2003 hatte Gül seinen damaligen Posten als Ministerpräsident für Erdogan freigemacht. Bis Anfang Mai wollen Gül und Erdogan eine Vereinbarung über das Vorgehen bei der Präsidentschaftswahl treffen.

Niemand erwartet, dass sich ein Präsident Erdogan aus der Tagespolitik heraushalten würde, so wie es Gül bisher getan hat. Ob Gül wirklich Lust hat, sich als Ministerpräsident von Erdogan hereinregieren zu lassen, ist nicht sicher. Während einer derzeitigen Auslandsreise sagte er vor mitreisenden Journalisten, es könne bei einer solchen Konstruktion Probleme geben.

 Gül lobt Aufhebung des Twitter-Verbots

Probleme gibt es schon jetzt, wie das Beispiel des aufgehobenen Twitter-Verbots zeigt. Gül ließ sich am Freitag mit den Worten zitieren, er sei „sehr stolz“ auf das Verfassungsgericht wegen der Aufhebung der Twitter-Sperre. Schließlich habe er selbst zehn der 17 Verfassungsrichter ernannt, die das Twitter-Urteil fällten. Das Vertrauen in den Rechtsstaat sei gestärkt worden. Das Verfassungsgericht hatte die Sperre als unzulässigen Eingriff in die Meinungsfreiheit gerügt.

Erdogan sieht das ganz anders. Er trat am Freitag vor die Presse und schimpfte über die von Gül so sehr gelobte Entscheidung. Das Verfassungsgericht habe zugunsten eines US-Unternehmens entschieden und damit die „nationalen und moralischen Werte“ der Türkei ignoriert. Seine Regierung habe zwar das Verfassungsgerichtsurteil umsetzen und die Twitter-Sperre aufheben müssen. „Aber ich muss das Urteil nicht respektieren“, sagte Erdogan. „Und ich respektiere es auch nicht.“

Gericht gibt auch Zugang zu YouTube wieder frei

Der Zusammenhalt des Gespanns Gül-Erdogan dürfte in den kommenden Wochen noch häufig auf die Probe gestellt werden. Am Freitag gab ein Gericht auch den Zugang zu YouTube wieder frei – was von Gül ausdrücklich gefordert worden war, Erdogan aber überhaupt nicht gefällt. Zunächst wurde die Freigabe von der Regierung jedoch nicht umgesetzt.

Twitter und YouTube waren von Erdogan gesperrt worden, um die Verbreitung von Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung zu verhindern. Auch hier zeigen sich Spannungen zwischen Gül und Erdogan: Der Präsident fordert eine transparente Aufarbeitung der Vorwürfe. Solche öffentlich geäußerte Gegensätze zwischen den zwei Politikern sind selten. Beide sind Mitbegründer der AKP und wollen vermeiden, dass die Partei in eine Zerreißprobe gestürzt wird.

Vizepremier Babacan: Türkei "keine erstklassige Demokratie" 

Trotzdem sind die Spannungen innerhalb der AKP-Führung nicht mehr zu übersehen. Vizepremier Babacan, der die Wirtschaftspolitik koordiniert, sagte am Freitag in einem Interview mit Bloomberg, die Türkei sei nach wie vor „keine erstklassige Demokratie“. Die von Erdogan versprochene Steigerung des Pro-Kopfeinkommens auf 25.000 Dollar im Jahr sei ohne Vertrauen in die Justiz unmöglich. Er schloss sich Güls Forderung nach einer Aufarbeitung der Korruptionsfälle an.

Auch von einem alten Getreuen geriet Erdogan unter Beschuss. Dengir Mir Mehmet Firat, ein früherer AKP-Vize, kritisierte die Syrien-Politik des Premiers. Erdogan werde von Außenminister Ahmet Davutoglu in die völlig falsche Richtung gelenkt. Davutoglu könne die Türkei in einen Krieg mit Syrien stürzen, warnte Firat. Nach einem vorige Woche aufgetauchten Mitschnitt eines vertraulichen Gesprächs von Davutoglu mit anderen Top-Beamten der Erdogan-Regierung dachte Ankara Mitte März an eine militärische Intervention in dem Nachbarland.

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