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Frieden in Kurdistan - aus Sicht vieler Kurden ist der an die Freiheit von Abdullah Öcalan gebunden. Hier demonstrieren in Deutschland lebende Kurden mit seinem Bild in Düsseldorf.

© dpa

Türkei: Neue Bemühungen um ein Ende des Kurdenkonflikts

Über Jahrzehnte weigerte sich der türkische Staat strikt, mit Vertretern der Kurden über eine friedliche Beilegung des Konflikts zu reden, der zehntausenden Menschen das Leben kostete und ganze Landstriche verwüstete. Jetzt holt Ankara die Gespräche nach – und wie.

In der Türkei wird verhandelt, was das Zeug hält: Sogar der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan, bis vor kurzem eine Unperson, ist in die Gespräche über eine friedliche Beilegung des Kurdenkonflikts eingebunden. Kurzfristiges Ziel ist eine dauerhafte Waffenruhe der PKK, mittelfristig soll die Gewalt ganz aufhören.

Noch nie haben die Hauptbeteiligten im Kurdenkonflikt so intensiv miteinander gesprochen wie derzeit. Am Montag fuhr die prominente Kurdenpolitikerin Aysel Tugluk mit staatlicher Genehmigung auf die Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul, um mit Öcalan zu reden. Öcalan selbst verhandelt mit dem türkischen Geheimdienst und bezeichnete diese Gespräche kürzlich als positiv. Die Kurdenpartei BDP traf sich unterdessen mit einem türkischen Vize-Premier und dem Justizminister. Und der türkische Innenminister besuchte die nordirakischen Kurden, um über die Zukunft der PKK-Kämpfer im Irak zu reden. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere lobte bei seinem Türkei-Besuch vergangene Woche die „viel versprechende innenpolitische Diskussion“ in Ankara. 

Der Sinneswandel in Ankara ist Ergebnis eines Prozesses, der vor einigen Jahren begann. Ausgangspunkt war die Einsicht der türkischen Militärs, dass die PKK mit Waffengewalt allein nicht zu besiegen sein würde. Daraus ergab sich mehr Spielraum für eine Suche nach einer politischen Lösung. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sprach als erster Regierungschef seines Landes von einem „Kurdenproblem“, räumte Fehler des Staates ein und versprach mehr Demokratie. Seine Regierung überwand auch ihre Abneigung gegen Gespräche mit den nordirakischen Kurden, auf deren Gebiet die PKK ihr Hauptquartier unterhält und die bei einer Entwaffnung der Rebellen eine wichtige Rolle spielen könnten.

Zwar gibt es immer wieder Rückschläge, wie das Verbot der Kurdenpartei DTP durch das Verfassungsgericht im vergangenen Jahr, und die Gewalt flammt immer wieder auf. Doch inzwischen scheint eine kritische Schwelle überschritten: Nur Rechtsnationalisten favorisieren noch Feuer und Schwert als alleinige Mittel gegen die PKK. Vor wenigen Wochen konnte Erdogan sogar das politische Risiko eingehen, die vertraulichen Gespräche zwischen den Behörden und Öcalan publik zu machen. Seinen Sieg beim Verfassungsreferendum vor zwei Wochen sieht Erdogan auch als Rückendeckung für seine Kurdenpolitik.

Die Vorstellungen gehen weit auseinander

Niemand in der türkischen Hauptstadt erwartet, dass über Nacht der Frieden ausbricht. Eine vorsichtige Zuversicht ist dennoch spürbar. „Wir hoffen, dass eine neue Seite aufgeschlagen wurde“, sagte Vize-Premier Cemil Cicek nach dem Treffen mit der Führung der Kurdenpartei BDP. Nahziel ist die Umwandlung der derzeitigen befristeten Waffenruhe der PKK in einen dauerhaften Waffenstillstand. Die unabhängige Tageszeitung „Taraf“ meldete, die Kurdenrebellen wollten sich ganz aus dem türkischen Staatsgebiet zurückziehen.

Bei aller Gesprächsbereitschaft gehen die Vorstellungen von den politischen Schritten nach einem stabilen Waffenstillstand weit auseinander. Kurdenpolitiker wollen, dass die Türkei die Existenz des kurdischen Volkes im Rahmen einer neuen Verfassung offiziell anerkennt. Die BDP verlangt zudem kurdischen Unterricht in staatlichen Schulen im Kurdengebiet sowie eine Ausweitung der regionalen Autonomie, eine Forderung, die in der zentralistisch aufgebauten türkischen Republik bisher fast als Hochverrat galt. Immerhin können die Kurden ihre Forderungen vortragen, ohne gleich ins Gefängnis geworfen zu werden.

Entmutigen lässt sich niemand

Die neue Gesprächskultur ist deshalb das bisher greifbarste Ergebnis der Bemühungen um ein Ende des Kurdenkonflikts. Alle Beteiligten haben zudem gezeigt, dass sie sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen. Nach dem Tod von neun Menschen bei einem Anschlag auf einen Minibus in Hakkari im Kurdengebiet vor zwei Wochen wurden Gespräche zwar verschoben, aber nicht abgesagt.

Der Anschlag von Hakkari dürfte nicht die letzte Aktion ihrer Art gewesen sein, warnen Experten. Radikale Kräfte auf beiden Seiten des Konflikts haben kein Interesse an einer Friedenslösung und könnten deshalb versuchen, die Verhandlungen mit Gewaltaktionen zu sprengen, sagte Sedat Laciner, Chef des Politik-Instistutes USAK in Ankara, in türkischen Medieninterviews. „Auf beiden Seiten liegen Leute im Hinterhalt.“

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