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Türkei: Neues Verbotsverfahren gegen AKP droht

In der Türkei ist offener Krieg zwischen der religiös-konservativen AKP-Regierung und der kemalistischen Justiz ausgebrochen. Anlass ist die Verhaftung eines Staatsanwalts. Nun könnte es zu Neuwahlen kommen.

In den Zeitungen war am Donnerstag bereits von einer „Staatskrise“ die Rede, nicht zuletzt weil der Generalstaatsanwalt in Ankara ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der politischen Einflussnahme auf die Justiz eröffnet hat. Beobachter werten dies als Vorboten eines neuen Verbotsverfahrens gegen die AKP. Die Erdogan-Partei bereitet sich auf vorgezogene Neuwahlen vor.

Anlass für die Krise ist die Verhaftung eines Staatsanwaltes im ostanatolischen Erzincan vor einigen Tagen. Der Ankläger Ilhan Cihaner, ein überzeugter Kemalist, hatte vor einiger Zeit mit Ermittlungen gegen zwei islamische Gruppen in der Gegend auf sich aufmerksam gemacht. Nun wurde er auf Antrag von Osman Sanal, eines Antiterror-Staatsanwalts aus der Nachbarprovinz Erzurum, von einem Gericht in Untersuchungshaft gesteckt.

Kemalistische Regierungsgegner, die in der AKP eine islamistische Organisation sehen, glauben darin den Versuch von AKP-nahen Juristen zu erkennen, aufrechte Ermittler einzuschüchtern, die dem Treiben islamischer Bruderschaften ein Ende setzen wollen. Doch ganz so einfach ist der Fall offenbar nicht. Cihaner soll engen Kontakt zu Dursun Cicek gehabt haben, einem Offizier der türkischen Armee und mutmaßlichem Autor eines Plans zur Destabilisierung der AKP-Regierung. Vor einem Istanbuler Gericht läuft bereits seit anderthalb Jahren ein Prozess gegen die rechtsnationale Gruppe Ergenekon, die ähnliche Pläne wie Cicek verfolgt haben soll.

Sanal stieß bei Ermittlungen nach einem Waffenfund auf den Verdacht einer Verbindung zwischen Cihaner und Cicek. Cihaners Nachforschungen in Sachen Islamisten könnten demnach zu Ciceks Umsturzvorbereitungen passen: In dem voriges Jahr enthüllten Destabilierungsplan des Offiziers war unter anderem vorgesehen, friedlichen islamischen Gruppen Waffen unterzuschieben, um sie als militanten Flügel des AKP-Lagers zu präsentieren.

Zum politischen Zankapfel wurde die Angelegenheit aber erst, als sich der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) einschaltete. Das erz-kemalistische Aufsichtsgremium enthob Sonderermittler Sanal und drei weitere Staatsanwälte kurzerhand ihres Postens und kündtigte Strafanzeigen gegen sie an. Mit einer ähnlich fragwürdigen Entscheidung hatte das Gremium vor vier Jahren einen Staatsanwalt aus dem Verkehr gezogen, der es gewagt hatte, Mitgliedern des türkischen Militärs die Verwicklung in einen tödlichen Bombenanschlag im Kurdengebiet vorzuwerfen.

Trotz erheblicher Zweifel an der Befugnis des HSYK zur Amtenthebung Sanals bekam das Richtergremium umgehend Beifall von den Mitgliedern des Berufungs- und des Verwaltungsgerichtshofes, die ebenfalls von kemalistischen Regierungsgegnern dominiert werden. Vize-Premier Bülent Arinc sagte, die Türkei sei „kein Staat der Richter, sondern ein Rechtsstaat“. Wenn die Justizvertreter unbedingt Politik machen wollten, „dann sollen sie die Roben ausziehen“.

Doch die AKP könnt schon bald Ärger mit einem anderen Robenträger bekommen, der sich in der Rolle des Oberaufsehers über die Politik gefällt. Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya, der die Erdogan-Partei bereits vor zwei Jahren vor das Verfassungsgericht zerrte, um sie verbieten zu lassen, feilt an einem neuen Versuch. Im Jahr 2008 beließ es das Gericht bei einer Verwarnung an die AKP – nun geht Yalcinkaya dem Verdacht nach, die Regierungspartei habe die Justiz unter Druck gesetzt.

In der AKP haben deshalb bereits die Vorbereitungen auf eine vorgezogene Neuwahl begonnen. Druck der Kemalisten habe der Partei bereits bei der letzten Wahl vor drei Jahren ein Rekordergebnis beschert, sagte ein AKP-Führungsmitglied der Zeitung „Radikal“. Damals hatten Militärs und Justiz versucht, die Wahl des AKP-Außenministers Abdullah Gül zum Staatspräsidenten zu torpedieren – mit dem Ergebnis, dass die AKP kurz darauf mit knapp 47 Prozent der Stimmen einen Erdrutschsieg errang.

„Wenn es ein neues Verbotsverfahren gibt, setzen wir sofort Wahlen an“, sagte der AKP-Führungsmann laut dem Zeitungsbericht deshalb. In diesem Fall könnten die Türken noch im Laufe dieses Jahres zu den Urnen gerufen werden.

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