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Türkei: Regierung favorisiert vorgezogene Neuwahlen

Das türkische Verfassungsgericht hat die erste Runde der Präsidentschaftswahl annulliert und das Land damit noch tiefer in eine Staatskrise gestürzt. Die Regierung von Ministerpräsident Erdogan will nun vorgezogene Neuwahlen.

Ankara/Brüssel - In der Machtprobe um die Präsidentschaft in der Türkei haben das Militär und die politischen Gegner der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan einen Sieg davongetragen. Das Verfassungsgericht in Ankara erklärte die erste Wahlrunde für ungültig. Laut Entscheidung des Gerichts müssen in den beiden ersten Wahlrunden jeweils mindestens zwei Drittel der Abgeordneten (367) anwesend sein.

Regierungssprecher Cemil Cicek sagte, das Parlament werde dennoch an diesem Mittwoch zusammengerufen. Gleichzeitig deutete er aber die Bereitschaft der Regierung zu Neuwahlen an. In türkischen Medienberichten hieß es, die Regierung fasse als mögliche Termine Ende Juni oder Anfang Juli ins Auge.

Opposition fühlt sich bestätigt

"Mit dieser Gerichtsentscheidung besteht keine Möglichkeit mehr, dass dieses Parlament den Staatspräsidenten wählt", sagte Oppositionsführer Deniz Baykal. Seine Republikanische Volkspartei hatte die Verfassungsbeschwerde eingereicht.

An der Abstimmung am vergangenen Freitag, bei der der Kandidat der Regierungspartei AKP, Außenminister Abdullah Gül, die Zweidrittelmehrheit um zehn Stimmen verfehlte, hatten nur 361 Abgeordnete teilgenommen. Im 550 Sitze zählenden Parlament von Ankara verfügt die Regierungspartei über 352 Mandate.

Erdogan ruft zu Ruhe auf

Wenige Stunden nach dem ersten Wahlgang hatte die Armeeführung die Regierung mit einer als Putschdrohung verstandenen Erklärung vor einer Wahl Güls zum Staatsoberhaupt gewarnt. Militär und Gegner der seit viereinhalb Jahren regierenden islamisch-konservativen AKP befürchten im Fall seiner Wahl eine Verschiebung der Machtbalance. Der Mitte Mai ausscheidende derzeitige Präsident Ahmet Necdet Sezer galt als entschiedener Verfechter der Trennung von Staat und Religion. In Istanbul hatten am Wochenende Hunderttausende gegen die Regierung und eine schleichende Islamisierung ihres Landes demonstriert.

In einer Rede an die Nation rief Ministerpräsident Erdogan am Montagabend zur Wahrung von Stabilität und innerem Frieden auf. "Das Wichtigste, was wir brauchen, sind Einheit, Zusammengehörigkeit und Solidarität", sagte Erdogan in der Fernsehansprache. An der Istanbuler Börse führte die Krise zu einem dramatischen Kurseinbruch. Die EU-Kommission in Brüssel warnte unterdessen das Militär vor einem Staatsstreich. Sie hatte bekräftigt, es sei wichtig, dass das Verfassungsgericht "in völliger Unabhängigkeit von unzulässiger Einflussnahme entscheiden" könne.

Wie die Kommission warnte auch der Europarat das Militär vor einer Einmischung in die Präsidentenwahl. "Die Streitkräfte sollten in ihren Kasernen bleiben und sich nicht in die Politik einmischen", sagte Generalsekretär Terry Davis in Straßburg. (tso/dpa)

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