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Der türkische Ministerpräsident Erdogan will Kurdisch als Wahlfach an staatlichen Schulen einführen.

© dpa

Türkei: Kurdenpartei gegen Kurdisch als Wahlfach

Erdogan will Kurdisch als Wahlfach in den Schulen einführen. Gemessen an den Koordinaten der traditionellen türkischen Staatsdoktrin ist der Vorschlag spektakulär. Die Kurdenpartei lehnt das jedoch ab. Hinter der Auseinandersetzung steckt Grundsätzliches.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan will kurdischen Kindern die Möglichkeit geben, mehrere Stunden pro Woche in staatlichen Schulen die kurdische Sprache als Wahlfach zu lernen. Das sei ein „historischer Schritt“, sagte Erdogan diese Woche in Ankara. Dennoch lehnte die Kurdenpartei BDP den Vorschlag des Ministerpräsidenten umgehend ab: Es sei eine Beleidigung, den Kurden das Erlernen der eigenen Muttersprache nur als Wahlfach anzubieten – das Kurdische müsse Pflichtfach werden. Hinter der Auseinandersetzung steckt Grundsätzliches: Mit seinem Angebot ordnet Erdogan die Kurden ins türkische Staatsvolk ein. Die BDP besteht dagegen auf der Anerkennung der Kurden als eigenständiges Volk.

Gemessen an den Koordinaten der traditionellen türkischen Staatsdoktrin ist Erdogans Vorschlag spektakulär. Für die zentralistisch geprägte Staatsideologie ist die Einheit des Landes der höchste Wert überhaupt; deshalb war die öffentliche Verwendung des Kurdischen lange verboten. Verstöße wurden als Separatismus gesehen und hart bestraft: Die Kurdenpolitikerin Leyla Zana saß zehn Jahre im Gefängnis, weil sie bei ihrer Vereidigung als Parlamentsabgeordnete einige Sätze auf Kurdisch sprach.

Erdogans Regierung hatte in den vergangenen Jahren viele Sprachverbote abgeschafft oder gelockert. Der Ministerpräsident ließ einen kurdischprachigen staatlichen Fernsehsender gründen und ermöglichte die Bildung von Kurdisch-Instituten an staatlichen Universitäten. Nun geht er mit der Ankündigung des kurdischen Sprachunterrichts in den Grundschulen noch einen Schritt weiter. Demnach sollen Kurdischkurse angeboten werden, falls der Bedarf vorhanden ist.

Auch Kinder anderer ethnischer Minderheiten sollen ab dem neuen Schuljahr im Herbst ihre Sprachen lernen dürfen, doch die größte Bedeutung hat die Reform für die rund zwölf Millionen Kurden in der Türkei, die seit Jahrzehnten mehr Sprachfreiheit fordern. Der kurdische Sprachforscher und Historiker Halit Yalcin begrüßte die Initiative der Regierung. Schließlich bestehe der Kern des Kurdenproblems in der Leugnung einer eigenen kurdischen Identität und im Verbot der kurdischen Sprache, sagte Yalcin der Zeitung „Vatan“. Es gebe auch genügend Lehrer und Lehrmaterial.

Sprache eines Volkes "nicht zum Wahlfach degradieren"

Während Yalcin das Regierungsvorhaben unterstützt, auch wenn es seiner Meinung nach nicht weit genug geht, kommt von der Kurdenpartei BDP harsche Kritik. Die Sprache eines Volkes könne nicht zum Wahlfach degradiert werden, sagte Parteichef Selahattin Demirtas der kurdischen Zeitung „Özgür Gündem“ zufolge. „Die Kurden sind ein eigenes Volk und eine eigene Nation“, sagte Demirtas. Wer als Kurde das Angebot Erdogans annehme, der folge dem Willen des „Feindes der Kurden“.

Andere BDP-Politiker erinnerten Erdogan daran, dass er selbst in Deutschland vor einer „Assimilierung“ der Türken durch die deutsche Gesellschaft gewarnt und für gute Türkisch-Kenntnisse der Türken in der Bundesrepublik geworben habe. Gegenüber den Kurden in der Türkei verfolge der Ministerpräsident aber genau jene Politik, die er in Deutschland kritisiert habe.

Da Erdogans Regierungspartei AKP und die BDP bittere Rivalen um die politische Vorherrschaft im türkischen Kurdengebiet sind, entspricht die Absage der Kurdenpartei an Erdogan der parteipolitischen Frontstellung. Doch die Parteipolitik ist nicht der einzige Grund für den Streit.

Der Kolumnist Fikret Bila lenkte in der Zeitung „Milliyet“ den Blick auf die grundsätzlichen Ziele der Kurdenpartei. Die BDP und auch die Kurdenrebellen von der PKK streben nach Bilas Worten eine „Neugründung“ der Türkei als Staat der zwei gleichberechtigten Völker Türken und Kurden an. Zu den Zielen gehört auch eine weitgehende Autonomie des Kurdengebietes. Ein Wahlfach Kurdisch hat in einem solchen Konzept keinen Platz. Der Streit zwischen denen, die Erdogans Vorschlag als historisches Zugeständnis sehen, und jenen, die es als wertloses Almosen verdammen, wird wohl weitergehen.

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