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Der Sarkophag des ehemaligen türkischen Präsidenten Turgut Özal. Seine Leich esoll jetzt exhumiert werden.

© Seibert

Türkei: Staatsanwaltschaft will Leiche von Ex-Präsident Özal exhumieren

Fast zwanzig Jahre nach seinem Tod will die türkische Staatsanwaltschaft durch eine Exhumierung klären, wie der damalige Präsident Özal ums Leben kam. Özal arbeitete damals an einer friedlichen Lösung des Kurdenkonflikts. Wurde er deshalb ermordet?

Noch ist es ruhig auf dem Topkapi-Friedhof an der alten Istanbuler Stadtmauer. Einige wenige Besucher schauen nach den Gräbern von Verwandten und Freunden, nur das Rauschen des Verkehrs einer nahen Stadtautobahn ist zu hören. Doch schon bald dürfte es mit der Ruhe vorbei sein. Die Staatsanwaltschaft interessiert sich für das mit Abstand größte Grabmal hier: eine wuchtige Metallkonstruktion über einem Sarkophag aus rotem Stein. Es ist die Ruhestätte von Turgut Özal, türkischer Staatspräsident von 1989 bis zu seinem Tod 1993. Jetzt will die Staatsanwaltschaft wissen, ob Özal ermordet wurde.

„Er war ein guter Präsident“, sagt der 68-jährige Friedhofbesucher Cemil Bulut und streicht sich durch den weißen Bart. „Man sagt, er sei vergiftet worden.“ Beide Beobachtungen werden von Millionen von Türken geteilt. Özal wird bis heute verehrt - und sein Tod gilt als höchst verdächtig.

Sonderermittler des Präsidialamtes kamen im Juni ebenfalls zu dem Schluss, es gebe viele ungeklärte Fragen zum Tod Özals. Deshalb ordnete die Staatsanwaltschaft Ankara vergangene Woche an, dass Özals sterbliche Überreste exhumiert und auf Spuren eines Giftanschlags hin untersucht werden. Wann das geschehen soll, wird geheim gehalten. Die Sicherheitsvorkehrungen am Grab wurden bereits erhöht.

Özal bescherte der Türkei in den 1980er Jahren mit Reformen einen bis dahin nicht gekannten Wirtschaftsboom. Als Präsident verband er muslimische Frömmigkeit mit Humor und setzte sich gegen die damals noch übermächtigen Militärs durch. Einmal nahm Özal eine Militärparade in T-Shirts und kurzen Hosen ab. „Er war ein Präsident des Volkes,“ sagt Enes Burc, ein türkischstämmiger Student aus Dortmund, der Özals Grab auf dem Topkapi-Friedhof besucht.

Doch der Präsident des Volkes hatte nicht nur ein schwaches Herz und musste sich einer dreifachen Bypass-Operation unterziehen. Özal hatte auch Feinde. Während einer Rede 1988 wurde er von einer Kugel an der Hand getroffen.

Als Özal am 17. April 1993 starb, gaben die Behörden die Todesursache mit Herzversagen an. Doch Özals Witwe Semra und viele türkische Normalbürger vermuteten einen Mordanschlag.

Kurz vor seinem Tod arbeitete Özal an einer friedlichen Lösung des Kurdenkonflikts. Nach Presseberichten lehnte der Präsident eine neue Taktik ab, die damals gegen die Kurdenrebellen von der PKK eingeführt werden sollte: Sie bestand im Einsatz von Spezialeinheiten der Polizei und sogar von rechtsnationalen Killern, um mutmaßliche PKK-Mitglieder und Unterstützer aus dem Weg zu räumen. Nach Özals Tod wurde diese Taktik breit angewandt. Tausende von außergerichtlichen Hinrichtungen im Kurdengebiet werden Mitgliedern der Sicherheitskräfte zur Last gelegt.

Wurde der Präsident deshalb umgebracht? Istanbuler Zeitungen berichten, die Staatsanwaltschaft konzentriere sich bei ihren neuen Ermittlungen auf ein Glas Orangensaft, das dem Präsidenten bei einem Empfang am Vorabend seines Todes gereicht wurde.

Merkwürdigkeiten gab es unmittelbar nach Özals Tod zur Genüge. Die vom derzeitigen Staatspräsidenten Abdullah Gül auf den Fall Özal angesetzte Ermittlertruppe DDK, eine Sonderabteilung des Präsidialamtes, stellte in ihrem Abschlussbericht im Juni mit Erstaunen fest, dass die Behörden damals weder eine Obduktion anordneten noch Spuren sichern ließen. Dabei müsse doch der plötzliche Tod eines Präsidenten im Amt immer als „verdächtig“ eingestuft werden. Die vielen Unterlassungen grenzten an „geistige Umnachtung“.

Die Spekulationen über eine Ermordung des Staatschefs könnten aber erst ernsthaft untersucht werden, wenn die Todesursache einwandfrei feststehe, erklärten die DDK-Ermittler. Ihr Bericht löste die neuen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft aus.

Besucher auf dem Topkapi-Friedhof sind sich nicht einig darüber, ob eine Exhumierung wirklich etwas bringen kann. „Was soll denn da rauskommen?“ fragt der 38-jährige Bülent Aktas. „Da ist doch nichts mehr übrig.“ Dagegen sagt der 63-jährige Mehmet, ein anderer Besucher, der nur seinen Vornamen nennen will, er habe im Fernsehen gehört, dass Experten sehr wohl noch Spuren eines Giftmordes finden könnten.

Auch der alte Cemil Bulut schließt einen Mord nicht aus. „Den Menderes haben sie doch auch umgebracht“, sagt er. Gemeint ist Adnan Menderes, ein türkischer Ministerpräsident, der 1961 nach einem Militärputsch hingerichtet wurde. Özals Grab auf dem Topkapi-Friedhof ist nur etwa hundert Meter von dem Grabmal von Menderes entfernt.

Özals Familie dringt ebenfalls darauf, die mutmaßlichen Mörder des Ex-Präsidenten zu ermitteln. Doch eine Exhumierung lehnen die Özals ab. Ein Sohn des früheren Staatschefs soll bei der Staatsanwaltschaft sogar offiziell beantragt haben, auf die Grabuntersuchung zu verzichten und die letzte Ruhe Özals nicht zu stören. „Das ist gegen unseren Glauben“, sagte Özals Tochter Zeynep der Zeitung „Hürriyet“.

Offiziell zumindest lässt sich die Staatsanwaltschaft vom Wunsch der Familie nicht beeindrucken. Zeynep Özal befürchtet erheblichen Schaden für das ganze Land. „Wenn sich bei der Graböffnung herausstellt, dass mein Vater wirklich vergiftet wurde, dann ist das eine Schande für die türkische Republik“, sagte sie. „Dann steht fest, dass in diesem Land ein großer Präsident ermordet wurde.“

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