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Die "Mavi Marmara" bei ihrer Rückkehr nach Istanbul.

© dpa

Türkei und Israel: Countdown zur nächsten Krise

Israel verweigert eine Entschuldigung für den Tod der Aktivisten des Gaza-Schiffes vor über einem Jahr – die Türkei ist verärgert.

Israel hat derzeit nicht nur großen Ärger mit Ägypten. Kurz vor Vorlage eines UN-Untersuchungsberichts zum israelischen Angriff auf die türkische Gaza-Hilfsflotte zeichnen sich auch neue Belastungen zwischen Israel und einem anderen bisherigen Partner in der Region ab: der Türkei. Da Israel eine Entschuldigung für den Angriff ablehnt, bereitet Ankara einen „Plan B“ vor, wie Premier Recep Tayyip Erdogan es formuliert. Unter anderem will die Türkei auf internationaler Bühne aktiv gegen Israel tätig werden und künftige Gaza-Flotten unterstützen, Erdogan selbst erwägt einen Besuch im Gazastreifen.

Die Israelis sollten bloß nicht glauben, das Ausbleiben einer Entschuldigung sei nicht so tragisch, sagte Außenminister Ahmet Davutoglu am Wochenende: „Die Beziehungen werden sich noch weiter verschlechtern.“ Nach Angaben türkischer Diplomaten bemühen sich die USA, zwischen den beiden amerikanischen Verbündeten im Nahen Osten zu vermitteln, bisher allerdings ohne Erfolg. Ankara habe den USA mitgeteilt, das Nein Israels zu einer Entschuldigung für den Tod von neun türkischen Aktivisten an Bord des Gaza-Schiffes „Mavi Marmara“ im Mai vergangenen Jahres werde Folgen haben, bestätigte ein türkischer Diplomat dem Tagesspiegel.

Am UN-Sitz in New York wurde in dieser Woche die Veröffentlichung eines Berichts über den Angriff auf die „Mavi Marmara“ erwartet; am Montag wurde jedoch mitgeteilt, die bereits zweimal vertagte Vorstellung des Berichts sei noch einmal um zehn Tage verschoben worden. Israelis und Türken erklärten, die jeweilige Gegenseite habe um die neuerliche Verschiebung gebeten.

Laut türkischen Pressemeldungen bescheinigt der UN-Bericht den Israelis zwar, sie hätten das Recht, sich gegen Versuche zur Durchbrechung der Gaza-Blockade zu wehren. Gleichzeitig werfen die UN den israelischen Soldaten aber eine unverhältnismäßige Gewaltanwendung vor. Unter anderem stützen sich die Vereinten Nationen demnach auf die Obduktionsberichte türkischer Ärzte, die nach dem Angriff die Leichen der neun Todesopfer untersucht hatten. Dabei soll ein Schusswaffeneinsatz aus nächster Nähe festgestellt worden sein.

Für die Türkei ist der Streit längst eine Grundsatzfrage

Für die Türkei ist der Streit um die Mission der „Mavi Marmara“ über die Klärung der Verantwortlichkeiten hinaus längst zur Grundsatzfrage geworden. Ohne Entschuldigung Israels und ohne Entschädigungszahlungen an die Familien der Opfer werde es keine Normalisierung der Beziehungen zu Israel geben, sagen türkische Regierungspolitiker seit Monaten. Da das Verhältnis zum früher engen Partner seit der israelischen Gaza-Intervention vom Dezember 2008 ohnehin schon empfindlich gestört ist, dürfte sich eine weitere Verschlechterung in drastischen Schritten zeigen.

Der türkische „Plan B“ sieht laut Medienberichten unter anderem vor, alle noch vorhandenen politischen und wirtschaftlichen Kontakte auf ein Minimum herunterzufahren oder ganz abzubrechen. Ein Besuch Erdogans in Gaza – der türkische Premier würde nicht über Israel, sondern über Ägypten dorthin reisen – wäre ein weiteres unmissverständliches Zeichen. Die Türkei denkt auch daran, im In- und Ausland juristisch gegen israelische Regierungsvertreter vorzugehen und in internationalen Gremien aktiv Position gegen Israel zu beziehen. Ziel sei es, Israel so weit wie möglich zu isolieren. Neue Gaza-Flottillen könnten künftig mit offizieller türkischer Hilfe rechnen.

Angesichts des Streits mit Ägypten nach dem Tod von fünf ägyptischen Grenzpolizisten bei einer israelischen Militäraktion auf der Sinai-Halbinsel in der vergangenen Woche bedeutet die türkische Haltung für Israel, dass zwei wichtige Bündnisse des jüdischen Staates mit Vertretern der islamischen Welt wegbrechen könnten. Kein Wunder, dass die USA besorgt sind.

Dabei ist die Türkei im Grunde nicht an einer Verschlechterung, sondern an einer Verbesserung ihrer Beziehungen zu Israel interessiert: Für die türkische Selbstsicht als regionale Führungsmacht, die mit allen Lagern in Nahost reden kann, sind einigermaßen funktionierende Kontakte zum jüdischen Staat wichtig. Doch das Scheitern von Aussöhnungsversuchen mit Israel und die öffentliche Festlegung Ankaras auf die Forderung nach einer Entschuldigung machen eine Wiederannäherung schwierig.

Nach Angaben türkischer Diplomaten hatten sich beide Seiten bei vertraulichen Gesprächen in den vergangenen Monaten weitgehend auf eine Lösung des Streits um die „Mavi Marmara“ geeinigt. Einsprüche aus der israelischen Regierungskoalition hätten den Abschluss einer Vereinbarung aber immer wieder zunichte gemacht. Als Verantwortlicher wird von türkischer Seite der israelische Außenminister und Hardliner Avigdor Lieberman genannt. Eine plötzliche Wende zum Besseren wäre deshalb ein Wunder: „Der Countdown hat begonnen“, kommentierte die Zeitung „Sabah“ am Montag – der Countdown zur nächsten Krise.

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