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Türkei-Wahl: Trifft Erdogan mutmaßliche Putschisten im Parlament?

In der Türkei hat der Wahlkampf begonnen. Einige Abgeordnete in spe können allerdings nicht mitmachen bei den Redeschlachten auf den Marktplätzen Anatoliens – sie sitzen im Gefängnis.

An sich ist es in der Türkei nichts Ungewöhnliches, dass sich Untersuchungshäftlinge um Parlamentsmandate bewerben. Doch diesmal erregen einige Knast-Kandidaturen großes Aufsehen, denn die Bewerber sind mutmaßliche Putschisten: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan könnte nach dem 12. Juni im Plenum jenen Männern begegnen, die laut Staatsanwaltschaft einen Staatsstreich gegen ihn planten.

Die säkularistische Oppositionspartei CHP bietet für die Wahl unter anderem den Journalisten Mustafa Balbay, den Akademiker Mehmet Haberal und den ehemaligen Ankaraner Handelskammer-Chef Sinan Aygün auf. Die Nationalistenpartei MHP zählt den Ex-General Engin Alan zu ihren Kandidaten. Alle vier sind wegen Verwicklung in Putschvorbereitungen gegen die islamisch verwurzelte Erdogan-Regierung angeklagt. Aygün ist auf freiem Fuß, während die drei anderen in Untersuchungshaft sitzen.

Erdogans Gegner wollen mit der Aufstellung der Angeklagten die wachsende Kritik am Vorgehen gegen die mutmaßlichen Putschisten in Wählerstimmen ummünzen. Der Journalist Balbay etwa sitzt seit mehr als zwei Jahren in Untersuchungshaft, ohne dass in seinem Prozess bisher ein Urteil gefällt worden wäre. Die kürzlichen Festnahmen anderer prominenter Journalisten hatten die Kritik an den schleppenden und zum Teil undurchsichtigen Putsch-Ermittlungen noch einmal verstärkt.

Regierungsgegner sehen in den Ermittlungen gegen die mutmaßliche Putschisten-Gruppe Ergenekon einen Vorwand, um Erdogan-Kritiker fertig machen zu können. Selbst im türkischen Reformlager, das die Ergenekon-Ermittlungen lange unterstützte, wird Unmut über die Staatsanwaltschaft laut. Oppositionsführer und CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu will diese Proteststimmung für seine Partei nutzen.

Es gebe keine rechtlichen Hindernisse für eine Kandidatur der Angeklagten, sagte Kilicdaroglu. Die türkischen Gesetze verbieten Parlamentsbewerbungen für verurteilte Schwerverbrecher, bei Untersuchungshäftlingen gilt die Unschuldsvermutung. Schon bei früheren Wahlen hatten Untersuchungsgefangene per Parlamentsmandat die Freiheit erlangt; nach der letzten Wahl 2007 konnte die Kurdenpolitikerin Sebahat Tuncel auf diese Weise vom Gefängnis ins Parlament umziehen.

Juristisch ist Kilicdaroglus Schachzug also wasserdicht, ob er auch politisch klug ist, muss sich allerdings noch zeigen. Erdogan selbst blieb jedenfalls gelassen, er scheint sich sogar auf die Auseinandersetzung über die Putsch-Kandidaten zu freuen. „Vielsagend“ seien die Kandidaturen von Balbay und Co., sagte der Premier. „Ich glaube, das wird ein interessanter Wahlkampf.“

Derzeit sieht alles nach einem erneuten Sieg von Erdogans Regierungspartei AKP aus. In den Umfragen liegt die AKP mit etwa 45 Prozent weit vor Kilicdaroglus CHP, die bei 30 Prozent gesehen wird. Die rechte MHP liegt mit 10 bis 15 Prozent nur knapp über der für den Parlamentseinzug geltenden Zehnprozent-Hürde. Auch die Kurdenpartei BDP bietet einige Untersuchungshäftlinge als Parlamentsbewerber auf, die wegen Unterstützung der kurdischen PKK-Rebellen vor Gericht stehen.

Der Opposition gehe es nicht um Überzeugungen und gute Abgeordnete, sondern darum, einige handverlesene Angeklagte mit dem „Panzer der Immunität“ vor der Strafverfolgung zu schützen, sagte Erdogan. Er dürfte das bis zum Wahltag noch oft wiederholen und seine AKP als Zielscheibe von Putschisten darstellen. Auch in der Opposition selbst gibt es Kritik. Führende CHP-Politiker sollen Kilicdaroglu vorgeworfen haben, mit der Kandidatur des früheren Wirtschaftsfunktionärs und strammen Rechten Aygün die linken Traditionen der CHP verraten zu haben.

Erdogan selbst setzt auf weniger umstrittene Persönlichkeiten. So gewann er den früheren Stürmerstar und allseits verehrten türkischen Fußball-Helden Hakan Sükür als AKP-Parlamentskandidaten. Nach seiner Nominierung bedankte sich Sükür bei Erdogan und der AKP mit einem schmeichelhaften Vergleich: „Ich fühle mich, als sei ich in die Nationalmannschaft aufgenommen worden.“

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