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Türken und Kurden: Wenn Hass lodert

Ganz plötzlich sind auf den Straßen aufgeregte und wütende Männer zu sehehn, deren ganzer Stolz die Nation ist, der sie angehöhren. Die "multikulturelle" Gesellschaft ist die Grundlage für die Konflikte zwischen Berliner Türken und Berliner Kurden – aber Multikultur ist nicht die Ursache.

Das meinten wir doch, hinter uns zu haben: Nationalismus als Antriebskraft großer Demonstrationen. Aufgeregte Männer, deren ganzer Stolz die Nation ist, der sie angehören. Oder umgekehrt: Aufgehetzte Männer, deren Wut lodert, weil der Nation, der sie entstammen, vermeintlich Unrecht geschieht. Ganz plötzlich sind sie hier zu sehen, auf Berliner Straßen oder Kölner Plätzen. Türken und Kurden, die mit Frauen und Kindern hier leben, arbeiten oder Sozialhilfe beziehen, halten die Symbole ihrer Nationen hoch. Wären ihre Wut und ihre Streitlust entscheidend, würden sie hier einen Konflikt austragen, der aus einer fernen Zeit in die Gegenwart hineinragt und mit Deutschland nichts zu tun hat.

Der historisch-kühle Blick auf erhitzte Nationalisten täuscht in einem wichtigen Punkt. Deutsche Städte und ihre Bewohner haben durchaus mit dem Konflikt zwischen Türken und Kurden zu tun: Sie sind ihr Schauplatz. Das ist wie der Streit um die Moscheen, um Deutschförderkurse für Migranten eine der Nebenwirkungen offener Grenzen, weitgehender Migration, gewollter Multikulturalität in den Großstädten.

Diese gewollte, lange Zeit herbei- und schöngeredete Multikulturalität ist die Grundlage der meisten großen Konflikte in europäischen Städten. Ob es Jugendliche in den Vorstädten von Paris sind, die keine Perspektive sehen und deshalb mit der Polizei aneinandergeraten; ob es Bewohner spanischer Großstädte sind, die sich gegen Einwanderer aus Nordafrika wehren zu müssen glauben, weil die Nordafrikaner ihnen auf dem Arbeitsmarkt Konkurrenz machen; ob es die Bewohner Rotterdams sind, die mit starren Regeln verhindern wollen, das ganze Stadtteile muslimisch werden; ob die Italiener serienweise rumänische Kriminelle ausweisen, nachdem rumänische Einwanderer einige Gewaltverbrechen an Italienern verübt hatten – die multikulturelle Gesellschaft europäischer Großstädte ist durchzogen von nationalistischen Gegensätzen, von Ressentiments und Vorurteilen, wie sie vor hundert Jahren die Nationen Europas gegeneinander hegten.

Die Politik ist derzeit nicht in der Lage, das Potenzial dieser Konflikte einzuschätzen. Was sagen die deutschstämmigen Bewohner von Berlin oder Köln in Anbetracht grollender türkischer Demonstranten? Reicht es ihnen, einem Chauvinismus zuzuhören und zuzusehen, den sich die Deutschen allenfalls zu Fußballweltmeisterschaftzeiten erlauben? Nehmen sie die Ratlosigkeit einer Politik wahr, die sich mit begrenzten Ergebnissen um „Integration“ bemüht, aber immer mehr Integrationsdefizite feststellt, in den Schulen, bei der Berufsausbildung, auf dem Arbeitsmarkt? Oder sind die Leute im Grunde froh, dass Türken und Kurden, um bei diesem Beispiel zu bleiben, an den meisten Tagen des Jahres friedlich miteinander umgehen?

Klar ist nur dreierlei: Die „multikulturelle“ Gesellschaft ist die Grundlage für die Konflikte zwischen Berliner Türken und Berliner Kurden – aber Multikultur ist nicht die Ursache. Man muss allerdings von Berliner Türken und Berliner Kurden erwarten, dass sie ihre Konflikte nach den hier geltenden Regeln austragen. Dann ist gegen ihren Nationalismus nichts einzuwenden, auch wenn er vorgestrig und simpel erscheint.

Dass, zweitens, der Kurdistankonflikt so nicht gelöst wird, versteht sich. Die Kurden gehören zu den Völkern (oder multikulturell-modernistisch: Ethnien), die mit einem Dauerunrecht umgehen müssen. Demonstrationen auf Kölner Plätzen oder Berliner Straßen werden daran nichts ändern; sie werden allenfalls ein paar Leute zum Grübeln darüber bringen, ob es politische Konflikte gibt, die schlechterdings unlösbar sind. Der Kurdistankonflikt könnte einer sein.

Dass, drittens, jeder Einwanderer besser zurechtkommt, wenn er seine Identität nicht nur nach nationaler Herkunft definiert, wissen ausgerechnet die Deutschen ganz gut. Der Deutschlandkult, der in den Vereinigten Staaten oder Kanada getrieben wird, hat allenfalls folkloristische Züge. Es täte den multikulturellen Städten hier sicher gut, wenn Nationalismen jeder Herkunft so wenig Bedeutung hätten wie der deutsche.  

Ein Kommentar von Werner van Bebber

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