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Einer von zahllosen Verhafteten: Osman Kavala, Vorsitzender des Kulturinstituts Anadolu Kültür, wurde am 19.10.2017 am Istanbuler Flughafen festgenommen worden.

© dpa

Inhaftierungen in der Türkei: Freiheit für Osman Kavala

Als Mäzen hat Kavala junge deutsche und türkische Kulturschaffende zusammengebracht. Unser Kolumnist hätte sich gern bei ihm persönlich bedankt, das geht aber nicht. Kavala sitzt im Gefängnis - wie so viele.

Ich bin Osman Kavala niemals begegnet. Seine blaugrauen Augen und den Lockenkopf kenne ich erst durch die Bilder, die seit seiner Verhaftung kursieren. Vorher war er der unsichtbare Mann, der es jungen Künstlern aus Deutschland und der Türkei möglich gemacht hatte, zusammenzukommen. Vor einigen Jahren, als der Weg von Berlin nach Istanbul noch nicht weit war. Und von Istanbul in die Provinzen des Landes nicht unüberwindbar. Auch nicht für junge Schriftsteller mit damals begrenzten finanziellen Mitteln wie mich und meine Freunde rund um freitext – ein Magazin, das wir nur durch Zähigkeit und Leidenschaft am Leben hielten.

Wir bewarben uns auf eine Ausschreibung der Mercator Stiftung. So kam es, dass wir Künstler aus dem kurdischen Batman trafen, aus Mardin, unweit der syrischen Grenze, aus Trabzon am Schwarzen Meer. Wir setzten uns ins Ballhaus Naunynstraße in Kreuzberg oder ins Yilmaz Güney Kino in Batman, das jetzt abgebrannt ist. Wir lasen uns unsere Texte vor, erzählten unsere Geschichten, wir übersetzten alles, denn wir hatten das Geld dafür: Osman Kavala hatte es uns bereitgestellt, zusammen mit der Mercator Stiftung und seiner Organisation Anadolu Kültür.

Damals kannte ich von ihm kaum mehr als seinen Namen, wusste vielleicht, dass er Unternehmer war, in Frankreich studiert hatte und dass ihm Kultur wichtig war. Ich dachte nicht weiter über ihn nach. Zu sehr war ich mit den neuen Bekanntschaften beschäftigt, mit diesen Schriftstellern und Kulturmacherinnen, deren Namen ich vorher nie gehört hatte. Wir redeten über politisches Schreiben, über Zeiten des Umbruchs und der Unsicherheit und was das für uns Schreibende hieß, auch für Maler und Filmemacherinnen. Wir staunten darüber, wie nah beieinander unsere so unterschiedlichen Geschichten waren – über Identität, über Ausgrenzung, über Emanzipation. Über das zum Schweigen gebracht werden und über Rettung durch Sprache. Uns verband eine poetische Sehnsucht nach Emanzipation und eine emanzipatorische Sehnsucht nach Poesie: Das war unser Europa.

Es ist kein Trost, aber trotzdem: Ideen können sie nicht einsperren

Unsere Eindrücke flossen in unsere Arbeiten ein. Ich erinnere mich an das „Haus der Presse“ in Trabzon mit einer holzvertäfelten Wand mit Ornamenten aus osmanischer Zeit – eine geschnitzte Traubendolde mit Weinkelch als Symbol für die Griechen und der Turban des Sultans als Symbol für die Türken verschränken sich ineinander. Auf diese Tafel trifft Elyas, der Protagonist aus meinem ersten Roman, der genauso zufällig wie ich, aber aus anderen Gründen in Trabzon landet.

Gerne wäre ich diese Woche auf der großen Buchmesse in Istanbul gewesen und hätte Osman Kavala ein Exemplar gegeben. Vielleicht hätte ich reingeschrieben: Danke, dass Du mit anderen Mitteln auch diesen Traum von Freiheit und Begegnung verfolgst. Oder: Für Dich der Turban und der Wein.

Ich bin nicht nach Istanbul gefahren. Die Reise war zu riskant nach der Verhaftung von deutschen Autoren – Deniz Yücel, Mesale Tolu – und dem Menschenrechtler Peter Steudtner. Es signieren jetzt befreundete Schriftsteller mein Buch – Freunde, die ich auf jener Reise kennengelernt hatte. Aber nicht für Osman Kavala. Denn der befindet sich auch nicht auf der Buchmesse, sondern im Gefängnis. Autorität oder wenigstens die Sehnsucht nach Autorität nimmt zu, fast überall. Und ich weiß, es ist kein Trost: Aber sie können immer nur Menschen einsperren, nie die Ideen, für die diese Menschen stehen. Freiheit kennt keinen Aggregatzustand, der verwahrt werden kann. Und Leben steckt nirgends so sehr, wie in der Begegnung zwischen Menschen.

Deniz Utlu

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