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Der türkische Journalist Adem Yavuz Arslan fährt Taxi durch Washington

© privat

Türkische Intellektuelle in den USA: Die Furcht des Uber-Chauffeurs vor Erdogan

Letzte Ausfahrt Washington: In der Türkei gilt er als Staatsfeind, deshalb floh der Journalist Adem Yavuz Arslan in die USA. Doch seine Feinde haben ihn im Exil nicht vergessen. Eine Reportage.

Manchmal weiß Adem Yavuz Arslan nicht so recht, wie er seinem kleinen Sohn erklären soll, dass sich alles im Leben der Familie geändert hat. Zum Beispiel wenn der Junge wieder einmal fragt, wann er denn das nächste Mal seinen Großvater in der Türkei besuchen kann. Das sind Momente, in denen Arslan beinahe daran verzweifelt, dass er seine Heimat vielleicht für immer verlassen hat. Arslan ist geflohen vor Recep Tayyip Erdogan, dem türkischen Präsidenten.

Dabei ist es noch nicht allzu lange her, dass Arslan, 42 Jahre alt, ein angesehener Mann in der Türkei war. Der Journalist begleitete Erdogan auf Reisen und trat als Chef des Hauptstadtbüros der Tageszeitung „Bugün“ in Polit-Talkshows auf. Damit ist es vorbei. Nachdem „Bugün“ in den Machtkampf zwischen Erdogan und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen geraten war, wurde das regierungskritische Boulevardblatt aufgelöst. Arslan floh mit seiner Frau und seinen drei Kindern nach Washington. Jetzt arbeitet er als Taxifahrer bei Uber. 60 Stunden die Woche sitzt der Familienvater in seinem sechs Jahre alten Toyota, lässt sich vom Navigationsgerät durch die Stadt, die er kaum kennt, zu den Kunden lotsen. Hin und wieder schreibt er eine Kolumne beim Gülen-nahen Online-Portal TR724.

Von der amerikanischen Hauptstadt aus beobachtet Arslan die Lage in Ankara. Er weiß noch nicht, ob er seine Kinder nun als Amerikaner oder als Türken erziehen soll. Sind die USA die neue Heimat oder nur eine Zwischenstation? „Es ist ein Konflikt zwischen Kopf und Herz“, sagt er. Bis auf Weiteres kommt eine Rückkehr in die Türkei nicht infrage, denn dort würde er sofort verhaftet.

Arslan sagt: Ich kann nicht heimkehren, solange Erdogan da ist

„Ich kann nicht heimkehren, solange Erdogan da ist“, sagt Arslan. Er weiß, was dieser Satz bedeutet: Wenn der türkische Staatschef seinen Willen bekommt und dieses Jahr die Einführung eines Präsidialsystems durchsetzen kann, wird er bis 2029 mit weit reichenden Vollmachten im Amt bleiben können. Es dürfte also noch lange dauern, bis Arslans Sohn seinen Großvater wieder besuchen kann.

Seine Familie ist seit der Ankunft in den USA im „Überlebens-Modus“, wie Arslan sagt. Bei der Flucht konnten sie nicht mehr mitnehmen, als in die Koffer passte. Die aus der Türkei geretteten Ersparnisse waren rasch aufgebraucht. Arslans Frau, eine Software-Entwicklerin, kümmert sich um die Kinder, weil sie in Amerika bislang keine Arbeitsgenehmigung bekommen hat.

Arslan hat noch Glück gehabt. Fast 150 türkische Journalisten sitzen hinter Gittern, weil sie angeblich den Putschversuch vom Juli unterstützten oder der Erdogan-Regierung auf andere Art geschadet haben sollen. Mehr als 100 000 Lehrer, Richter, Polizisten und Soldaten sind gefeuert oder suspendiert worden, 40.000 mutmaßliche Gülen-Anhänger kamen in Untersuchungshaft. Die Spitzenpolitiker der Kurdenpartei HDP wurden ebenso abgeführt wie linke, oft kurdische Journalisten, regierungskritische Politiker in der Provinz, Intellektuelle und Menschenrechtler, weil sie die Propaganda der verbotenen Arbeiterpartei PKK verbreitet haben sollen.

Die Jagd auf Andersdenkende hat Tausende vertrieben

Erdogans Jagd auf Andersdenkende hat tausende Türken aus dem Land getrieben, die meisten flohen nach Deutschland, Schweden, Frankreich und die USA. Darunter sind Prominente wie der Journalist Can Dündar, der wegen seiner Syrien-Berichterstattung von Erdogan persönlich als Landesverräter bezeichnet wurde und sich nach Deutschland absetzen konnte. Auch die Soziologin Nil Mutluer, die sich in Berlin in Sicherheit bringen konnte, gehört dazu.

Noch schwerer dürfte der Neuanfang für die tausenden Unbekannten sein, die ihre Heimat verlassen mussten. Da ist ein gut bezahlter Istanbuler Manager aus dem Finanzsektor, der diskret seinen Umzug in die USA plant, weil er in Istanbul keine Zukunft mehr für sich und seine Familie sieht. Da sind türkische Bekannte, die sich so unauffällig wie möglich nach Jobangeboten irgendwo in Europa erkundigen. Internationale Schulen in Griechenland melden ein deutlich erhöhtes Interesse von türkischen Familien.

Verzweiflung und Angst vieler Türken lassen sich auch aus der deutschen Asylstatistik herauslesen. Bis Anfang November stellten fast 4500 Türken in Deutschland einen Asylantrag – mehr als doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2015. Deutschland ist für die Dissidenten nicht nur deshalb ein beliebtes Ziel, weil sie Verwandte oder Freunde unter den drei Millionen Türkischstämmigen in der Bundesrepublik haben. Die Bundesregierung hat die Erdogan-Gegner gewissermaßen eingeladen: „Alle kritischen Geister in der Türkei sollen wissen, dass die Bundesregierung ihnen solidarisch beisteht“, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, im vergangenen November. Er verwies auf „verschiedene Programme, die auch türkischen Wissenschaftlern und Journalisten offenstehen“.

Auch manche türkischen Diplomaten in Deutschland tun alles, um bleiben zu können. Seit dem Putsch baten drei Dutzend in der Bundesrepublik um Aufnahme. Vom Nato-Hauptquartier in Brüssel setzten sich türkische Offiziere ab, um die Rückkehr nach Ankara zu vermeiden. Fast täglich kommen Fälle hinzu, die im Kreis der Emigranten diskutiert werden. Noch sind es keine Massen, die über die Grenzen ins westliche Ausland abwandern, doch „Flüchtling zu sein, ist jetzt eine türkische Realität“, sagt Arslan.

Selbst die Fluchtmethoden gleichen denen von Syrern, Afghanen oder Irakern, die sich nach Westen aufmachen. Arslan berichtet von einem Bekannten, der sich vor Kurzem in die USA durchgeschlagen hat. „Der Mann hat einen Diplomatenpass, aber er musste sich bei Nacht und Nebel in ein Schlauchboot nach Griechenland setzen.“

Manche Exilanten fürchten die Rache des türkischen Staats

Der türkische Journalist Adem Yavuz Arslan fährt Taxi durch Washington
Verfahren. Adem Yavuz Arslan fährt Taxi durch Washington, eine Stadt, die er kaum kennt. Hoffnung, dass sich die Lage in seiner Heimat Türkei bald bessert, hat er nicht.

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Über Telefon und Internet bleibt Arslan mit anderen Vertriebenen in Verbindung. Sie tauschen Neuigkeiten aus und reden über die Ereignisse in der Heimat. Wer ist verhaftet worden? Wer hat es geschafft, noch aus dem Land zu kommen? Wie bringt man das Ersparte außer Landes, bevor es beschlagnahmt wird? Wenn man mit den Exilanten redet, fühlt man sich an die Geschichten deutscher Nazi-Gegner erinnert, die in den 1930er Jahren aus ihrer Heimat flohen Damals fanden viele von ihnen, darunter der spätere Berliner Bürgermeister Ernst Reuter, Zuflucht in der Türkei.

Selbst im Ausland sind Erdogan-Gegner nicht vor Anfeindungen sicher. So warfen Kommentatoren dem im Exil lebenden Journalisten Abdullah Bozkurt vor, er habe von dem Plan zur Ermordung des russischen Botschafters Andrej Karlow durch einen türkischen Polizisten in Ankara gewusst. Bozkurt steht der Gülen-Bewegung nahe – die nach Erdogans Behauptung nicht nur den Putschversuch im Juli organisierte, sondern auch hinter dem Mord am Botschafter steckt.

Selbst in Washington, das merkt Arslan immer wieder, bleiben er und seine Familie im Visier seiner Widersacher. Vor ein paar Monaten tauchten Berichte in türkischen Medien auf, die den früheren „Bugün“-Bürochef in legerer Kleidung beim Einkaufen zeigten. Arslan, so hieß es in den Berichten, sei ein hohes Tier in der Gülen-Bewegung und lebe in Amerika in Saus und Braus. „Ich bin ein Uber-Fahrer!“, sagt Arslan etwas zu laut. Er kann die Vorwürfe angesichts seiner Lebensumstände nicht fassen.

Zuweilen steigen auch Landsleute zu Arslan in den Wagen

Zuweilen steigen auch Landsleute zu Arslan in den Wagen. Wenn er die Kunden durch Washington chauffiert und die Rede auf die politische Lage kommt, sind die Fahrgäste oft überrascht. Das soll also dieser Landesverräter sein, der von der CIA für seine Dienste reich entlohnt worden ist? Immerhin, sagt Arslan, verstehen die Leute dann, dass die türkische Regierung die Menschen belüge. Wenn sich ein Gespräch mit amerikanischen Fahrgästen ergibt, interessieren die sich sehr für das Schicksal ihres Uber-Fahrers. Auch Jobangebote von Medienleuten hat Arslan im Wagen schon bekommen, doch sein aktueller Aufenthaltsstatus verhindert bisher eine Anstellung.

Seinem Journalisten-Kollegen Emre Uslu geht es ähnlich. Er ging der Erdogan-Regierung schon vor Jahren als Kolumnist der kritischen Zeitung „Taraf“ auf die Nerven. „Ich kam raus, bevor sie mich festnehmen konnten“, sagt Uslu, der sich über Europa in die USA absetzte und jetzt an der Virginia International University als Politikdozent arbeitet. Kurz vor seiner Flucht hatte die Presse Uslu als möglichen Drahtzieher eines angeblichen Mordkomplotts gegen Erdogans Tochter Sümeyye diffamiert.

Zwar erklärte die Staatsanwaltschaft später, dass es so einen Anschlagsplan nie gegeben habe, aber Uslu hatte genug und reiste vor zweieinhalb Jahren aus. Ohnmächtig erlebt er nun mit, wie die türkischen Behörden Druck auf die Familie in seinem Heimatort bei Malatya in Ostanatolien ausüben. Er war der Einzige aus dem Dorf, der es auf die Uni geschafft und in Istanbul Karriere gemacht hatte. Nun bedrohe die Polizei seine 75-jährige Mutter, erzählt er.

Uslu zählt die Anklagen, die in der Türkei gegen ihn vorliegen schon längst nicht mehr. Selbst wenn sich in der Türkei in den kommenden Jahren vieles ändern würde, bliebe das Strafregister bestehen. „Wenn du mal als Angeklagter im System drin bist, dann kommst du da nur schwer wieder raus“, sagt er. Nur eine Generalamnestie könnte ihm helfen. Doch die gilt als unwahrscheinlich.

So richtet sich Uslu mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in den USA ein, beteiligt sich über Twitter an der politischen Diskussion in seiner Heimat – und wartet ab. „Ich fühle mich wie im Fegefeuer“, sagt er . Wie viele der Emigranten ist sich Uslu sicher, dass die Lage in der Heimat in naher Zukunft eher schlechter als besser wird. Trotzdem lasse ihn die Sehnsucht nach Anatolien nicht los. „Natürlich will ich zurück, ich kann es kaum erwarten“, sagt Uslu. „Die Türkei ist mein Land.“ Aber er müsse sich wohl noch gedulden. „Mindestens zehn Jahre wird es wohl dauern.“

Manche fürchten, dass sie die Rache des Staates erreichen könnte

Manche Exilanten fürchten, dass sie bis dahin die Rache des türkischen Staats erreichen könnte. Erst kürzlich ließ die Bundesanwaltschaft in Hamburg einen 31-jährigen mutmaßlichen Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT festnehmen, der Kurden in Deutschland ausspioniert haben soll.

In den USA fühlt sich Uslu bislang sicher, doch er fürchtet um das Leben seiner Schicksalsgenossen in Europa. Ihm geht der Mord in Paris an drei Aktivistinnen nicht aus dem Kopf. Drei Jahre ist es her, als ein rechter Türke linke Kurdinnen erschoss – davon jedenfalls ging die französische Staatsanwaltschaft aus. Der Tatverdächtige ist 2016 in einem Pariser Gefängnis an einer Krankheit gestorben. Seitdem gibt es Befürchtungen, Berufskiller im Auftrag Ankaras räumten mutmaßliche Staatsfeinde aus dem Weg. In Amerika würde die türkische Regierung so etwas wohl nicht wagen, sagt Uslu.

Der Gedanke, dass an eine baldige Heimkehr nicht zu denken ist, macht auch Arslan traurig. Doch die ewige Angst vor der Polizei vermisst er nicht. „In der Türkei dachte ich morgens beim Aufwachen: Hmm, heute Nacht sind sie wieder nicht gekommen, um mich zu holen. Vielleicht morgen.“ In Amerika weiß er, dass es morgens nicht klopfen wird. Und wenn, dann sind es die Nachbarn.

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