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Tunesien-Tagebuch, Teil 3: "Nie wieder Kriminellen gehorchen"

Eine 24-jährige Lehrerin in der Küstenstadt Sousse über bedrohliche Milizen und die Solidarität anderer Araber.

„Dass Ben Ali weg ist, bedeutet noch lange nicht, dass die Diktatur beendet ist. Das tunesische Volk hat kein Vertrauen mehr in diejenigen, die zum Regime gehört haben. Keinen von ihnen. Nie wieder werden wir Kriminellen gehorchen.

In meinem Viertel sind Unbekannte aufgetaucht, Leute, die im Gefängnis waren. Es ist furchtbar. Meine ganze Familie ist am Ende mit den Nerven. Ich bin kurz davor, panisch zu werden. Wir schlafen nicht mehr. Die Milizen, die von der Polizei geschickt werden, randalieren und zünden alles an, sie vergewaltigen sogar.

Unsere Freunde in anderen arabischen Ländern – Ägypten, Marokko, Palästina – sprechen uns Mut zu. Auf Facebook schreiben sie mir: „Ihr seid total großartig, ihr habt gerade Geschichte geschrieben, wir sind stolz auf euch“, „Ihr seid ein Vorbild für uns Ägypter, hoffentlich werden wir dasselbe mit Mubarak machen.“ Ein Freund aus Ägypten sagte am Telefon, es sei in allen arabischen Ländern das Gleiche, überall Diktatur, aber dass er uns unterstützen wolle und an uns denke. Da hatte ich Tränen in den Augen.

Die Opposition ist eher eine Art Dekoration für die Regierungspartei. Wir haben keine klare Vorstellung von diesen Parteien. Nun kommt wohl der Chef der islamistischen Partei aus dem Exil in London zurück. Sofort schrieben viele auf Facebook: „Wir wollen keine Fundamentalisten auf tunesischem Boden.“

Die Armee tut ihr Bestes, um uns zu schützen, aber sie hat nicht genügend Soldaten. Deshalb verteidigen wir uns selbst. Auch mein 22-jähriger Bruder geht mit den Jugendlichen raus, um das Viertel zu schützen und der Armee zu helfen. Meine Eltern haben Angst um ihn, aber die machen das gut! Wir vertrauen im Moment nur der Armee. Ab 18 Uhr ist Sperrstunde. Normalerweise kommen wir nicht immer alle zum Abendessen zusammen, jetzt schon. Trotz allem: Ich fühle mich ein bisschen besser. Einige Geschäfte sind geöffnet. Manche Bürger haben sich versammelt, um die Straßen zu reinigen. Die Tunesier sind vereint. Wir unterstützen uns. Zu den Kriminellen des Regimes sage ich: Ihr habt unser Geld genommen, ihr werdet uns nicht unsere Träume nehmen.“

Protokolliert von Karin Schädler.

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