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Die Wirtschaft stagniert. Die Nachbarschaft zum Bürgerkriegsland Libyen lässt Investoren zögern, auch Touristen bleiben aus.

© AFP

Politik: TUNESIEN

Um Tunesien ist es ruhig geworden. Exdespot Zine al Abidine Ben Ali wird in Abwesenheit der Prozess gemacht.

Um Tunesien ist es ruhig geworden. Exdespot Zine al Abidine Ben Ali wird in Abwesenheit der Prozess gemacht. Auslieferung durch Saudi-Arabien muss der gestürzte Diktator nicht befürchten, der sich inzwischen mit seiner Familie in den 2300 Meter hohen Gebirgsort Abha nahe der jemenitischen Grenze zurückgezogen hat. Derweil ringt seine Heimat um ihren Weg in eine funktionierende Demokratie. Der Wahltermin für die verfassungsgebende Versammlung wurde inzwischen von Juli auf Oktober verschoben, ähnlich wie in Ägypten macht sich auch in Tunesien die Einsicht breit, dass die vielen neuen politischen Kräfte mehr Zeit brauchen, um ihr Werben um die Stimmen der Wähler vorzubereiten. Über 50 Parteien sind in der Zwischenzeit entstanden, auch die seit zwei Jahrzehnten aus dem Land verbannten Muslimbrüder sind wieder im politischen Spektrum präsent. Unklar ist, wie stark sie beim ersten demokratischen Kräftemessen im Herbst abschneiden werden.

Denn die Perspektivlosigkeit gerade unter dem Nachwuchs ist geblieben, die revolutionäre Euphorie einem mittelschweren Kater gewichen. Eine Selbstmordwelle junger Leute beunruhigt das Land. Tausende wollen nur noch weg. Jede Nacht machen sie sich in klapprigen Booten auf zur lebensgefährlichen Überfahrt in Richtung Europa. Denn Tunesiens Wirtschaft stagniert, die direkte Nachbarschaft zum Bürgerkriegsland Libyen lässt viele ausländische Investoren zögern. Die Einnahmen aus dem Tourismus, der sieben Prozent zum Bruttosozialprodukt beisteuert und 400 000 Menschen beschäftigt, sind seit Januar offiziell um 50 Prozent gefallen. Für die zweite Jahreshälfte sieht es ähnlich düster aus.

Mehr noch: Allein in diesem Jahr werden 80 000 neue Universitätsabsolventen auf den Arbeitsmarkt entlassen, für die es in der heimischen Wirtschaft keine Stellen gibt. Wie die meisten anderen arabischen Staaten auch legte Tunesiens alte Führung viel zu hohen Wert auf akademische Bildung. Dagegen fehlte es an Angeboten für eine solide handwerkliche Qualifizierung. Handwerk gilt als minderwertige Tätigkeit, auch wenn gute Elektriker, Installateure oder Schreiner an allen Ecken und Enden fehlen.

Und trotz aller Schwierigkeiten – Tunesien fühlt sich als oberster Treuhänder des Arabischen Frühlings, schließlich brachte der Sturz von Diktator Ben Ali vor sechs Monaten im ganzen Nahen Osten das Aufbegehren der Völker ins Rollen. Oder wie es Beji Caid-Essebi, der Interimsregierungschef des Landes, formulierte: „Wenn der demokratische Wandel in Tunesien scheitert, dann gibt es auch überall sonst keine Hoffnung mehr.“

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