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Eine Rekordzahl von Zuschauern wird für das erste TV-Duell erwartet.

© dpa

TV-Debatte Clinton-Trump: Die letzte Chance vor der US-Wahl

Hillary Clinton oder Donald Trump? Viele Amerikaner wissen noch nicht, wen sie am 8. November wählen sollen. Entscheidend könnte die erste Fernsehdebatte der Kandidaten am Montag sein. Ein Essay.

Ein Essay von Susanne Güsten

Sie bereiten sich seit Wochen auf das große Duell vor, jeder auf seine Weise. Die erste Fernsehdebatte zwischen Donald Trump und Hillary Clinton an diesem Montag gibt Millionen unentschiedener Wähler die Möglichkeit, die beiden Kandidaten für das höchste Amt im Land in Aktion zu sehen. Wird Trump wie gewohnt attackieren und versuchen, Clinton mit Beleidigungen, groben Verallgemeinerungen und glatten Lügen in die Enge zu treiben? Wird es Clinton gelingen, die Zweifel vieler Amerikaner an ihrer Glaubwürdigkeit zu zerstreuen? Viel hängt von diesem Abend ab, sehr viel.

Dass der Debatte eine so große Bedeutung zukommt, ist fast schon eine Sensation für sich. Einer wie Trump, der sich fast täglich als gewissenloser Populist selber entlarvt, der Millionen neuer Jobs, niedrigere Steuern, weniger Zuwanderer und den Beginn eines neuen goldenen Zeitalters verspricht, müsste eigentlich chancenlos sein, wenn es darum geht, wem die Codes für die Atomwaffen überantwortet werden. Und eigentlich müsste eine Politikerin wie Hillary Clinton – die erste Frau, die ins Weiße Haus einziehen könnte, und die eine erfahrene Ex-Außenministerin mit großer Sachkompetenz ist – leichtes Spiel haben mit dem Hallodri und seinen Macho-Sprüchen.
Aber es ist nicht so. Umfragen sehen Clinton mit nur knappem Vorsprung vor Trump. In einigen der besonders wichtigen Wackelkandidaten unter den Bundesstaaten wie Ohio wird Trump vorne gesehen, in anderen wie Florida und North Carolina liegen beide Kandidaten Kopf an Kopf.

Das amerikanische Wahlsystem ist einer der Gründe dafür, dass die Sache rund sechs Wochen vor dem Wahltag am 8. November so spannend ist. Im Wahlmännerkollegium, in das die einzelnen Staaten je nach Bevölkerungsstärke ihre Vertreter zur formellen Präsidentenwahl entsenden, braucht ein Kandidat mindestens 270 Stimmen, um zu gewinnen. Derzeit hat Clinton etwa 200 Stimmen in der Tasche, Trump rund 164. Doch da Bundesstaaten mit insgesamt weiteren 174 Stimmen noch umkämpft sind und ein Staat wie Florida allein 29 Wahlmänner stellt, ist alles offen.

Vieles an diesem Wahlkampf ist anders als sonst. So sind beide Kandidaten relativ betagt – Clinton wird im Oktober 69, Trump ist 70 – und bei den Wählern äußerst unbeliebt. Clinton benutzte während ihrer Zeit als Außenministerin einen privaten Mail-Server, von dem sie massenweise Mails löschen ließ – und steht unter anderem im Verdacht, Großspendern der Clinton-Stiftung ihres Mannes Bill einen privilegierten Zugang zum Ministerium gewährt zu haben. Ihr Kollaps vor zwei Wochen und ihre Lungenentzündung haben zudem Zweifel an ihrem physischen Durchhaltevermögen in einem Amt geweckt, das selbst kerngesunde Politiker an den Rand des Zusammenbruchs bringen kann.

Der 70-Jährige beleidigt ganze Bevölkerungsgruppen

Clinton gilt bei vielen Wählern als Politikerin, die vor allem am eigenen Wohlergehen interessiert ist. Nur 39 Prozent der Amerikaner sind der Meinung, dass Clinton auf der Basis ehrlicher Überzeugungen handele, berichtet das „Wall Street Journal“. Mehr als die Hälfte hat den Eindruck, dass Clinton glaubt, sich über Vorschriften und Gesetze hinwegsetzen zu können.

Dieses Misstrauen ist der Klotz an Clintons Bein. Schafft sie es, in den nächsten sechs Wochen den Amerikanern ein positiveres Bild von sich selbst zu vermitteln, dann hat sie den Sieg sicher. Denn mehr als 60 Prozent halten sie für im Grunde geeignet, das Land als Präsidentin zu führen – bei Trump sind nur 38 Prozent der Meinung, er besitze die Befähigung zum Präsidentenamt.

Umso erstaunlicher ist der Aufstieg des Unternehmers und die Tatsache, dass sein Wahlsieg im November eine realistische Möglichkeit ist. Trump müsse Millionen von Amerikanern von sich überzeugen, obwohl diese Clinton für geeigneter halten, analysierte das „Wall Street Journal“ das Bild der Umfragen: „Unter normalen Umständen wäre ein solches Ergebnis unvorstellbar. Aber dieses Jahr ist alles andere als normal.“

Trump, der Milliardär und Reality-TV-Star ohne jede politische Erfahrung, setzte sich gegen eine ganze Reihe etablierter Politiker seiner republikanischen Partei durch, zum Entsetzen der Parteiführung. Und er tat das auf eine Weise, die das Establishment in Washington zutiefst geschockt hat.

Der 70-Jährige beleidigt ganze Bevölkerungsgruppen, fordert die Wiedereinführung der Folter und will an der Grenze zu Mexiko eine Mauer bauen, um die illegale Einwanderung zu stoppen. Er enthält den Amerikanern seine genauen Vermögensverhältnisse vor und fordert unter anderem die Abschaffung der Erbschaftssteuer, was seiner eigenen Familie Milliardensummen sparen würde. Er bekennt sich öffentlich zu seiner Sympathie für Wladimir Putin und stellt das Nato-Prinzip des gegenseitigen Beistandes in Frage. So unbeliebt ist Trump bei den Granden der eigenen Partei, dass vom früheren republikanischen Präsidenten George Bush dem Älteren gemunkelt wird, er wolle im November für Clinton stimmen. Namhafte Sicherheitspolitiker der Republikaner bezeichnen Trump als unwählbar und als Gefahr für die nationale Sicherheit. Und doch schaffte Trump nach einem Umfrage-Rückstand von bis zu zehn Prozentpunkten auf Clinton innerhalb eines Monats ein Comeback, das ihn in einigen Befragungen auf den Favoritenplatz katapultierte.

Viele Amerikaner sind überzeugt, dass ihnen alles entgleitet: ihre Jobs, ihre Sicherheit – ihr Land

Dieser Erfolg hat viel mit Clintons Schwäche zu tun, aber die wirklichen Ursachen liegen tiefer. Sie sind in einer Desillusionierung vieler Amerikaner zu suchen, die überzeugt sind, dass ihnen alles entgleitet: ihre Jobs, ihre Sicherheit – ihr Land. Nur Trump kann diesen Trend stoppen, sind sie überzeugt. „Ich habe das Gefühl, dass er die letzte Chance für uns ist, Recht und Ordnung zu schaffen und die Kultur zu bewahren, in der ich aufgewachsen bin“, sagte ein älterer Trump-Wähler der „New York Times“. In vielerlei Hinsicht steht Trump für das letzte Aufbäumen eines vorwiegend weißen, mehrheitlich protestantischen, konservativen und oft ländlich geprägten Amerikas gegen das Unabänderliche – den Verlust der Macht.

Das weiße Amerika steht vor einer Umwälzung

Donald Trump profitiert gegen Hillary Clinton vom Zorn der Teile der weißen Mittelschicht, die sich sozial abgehängt fühlen.
Donald Trump profitiert gegen Hillary Clinton vom Zorn der Teile der weißen Mittelschicht, die sich sozial abgehängt fühlen.

© Mark Wilson/Getty Images/AFP

Das Amerika, das von weißen, protestantischen Zuwanderern aus Europa gegründet und über Jahrhunderte dominiert wurde, steht vor umwälzenden demographischen Veränderungen. Nach einer Schätzung des Statistikamtes werden die Weißen in weniger als 30 Jahren nicht mehr die ethnische Mehrheit in den USA stellen. In der Gruppe der Unter-18-Jährigen werden die Weißen schon innerhalb der Amtszeit des neuen Präsidenten unter die 50-Prozent-Marke rutschen. Getrieben wird die Dynamik vor allem von der hohen Geburtenrate der Hispanier – Trumps Ruf nach einer Mauer an der Grenze zu Mexiko trifft also bei besorgten Weißen einen Nerv, auch wenn eine Mauer die Entwicklung nicht aufhalten könnte.

Seit 1992 ist der Anteil der Weißen an der Wählerschaft von 84 auf 70 Prozent gesunken, wie das Forschungsinstitut PEW ermittelt hat. Nicht nur die Weißen sind auf dem Rückzug, auch die weniger Gebildeten, die den Kern der Trump-Anhängerschaft ausmachen. Anfang der 1990er hatte nur jeder zweite US-Wähler einen Hochschulabschluss – heute sind es zwei Drittel. Hinzu kommt eine wachsende Distanzierung von religiösen Bindungen. Vor 20 Jahren bezeichneten sich nur acht Prozent der Wähler als nicht zu einer Religionsgemeinschaft zugehörig; heute sind es 21 Prozent.

Die religiösen Verschiebungen widersprechen dem Traditionsgefühl vieler Amerikaner mindestens genauso wie die ethnischen Veränderungen. Daniel Cox, Forschungsdirektor am überparteilichen Institut PRRI in Washington, sagte dieser Zeitung, Dinge wie die breite gesellschaftliche Unterstützung für die Homo-Ehe und die rückläufige Zahl der Kirchenbesucher weckten bei konservativen Christen die Angst, „kulturell vertrieben“ zu werden. Diese Menschen sorgten sich, „dass die Werte, die ihnen am Herzen liegen, nicht mehr die Werte der meisten Amerikaner sind“.

Globalisierung und Flüchtlinge werden als die Hauptbedrohungen gesehen

Zum ersten Mal überhaupt gebe es in Amerika heute eine ganze Generation, die mit festen Religionsgemeinschaften wie Kirchengemeinden nichts mehr anfangen könne, sagt Cox. Laut Zahlen des PRRI leben fast 40 Prozent der Amerikaner unter 30 heute ohne fest definierte Religionszugehörigkeit und stellen damit mehr Menschen als jede religiöse Gemeinschaft im Land.

Das hat Folgen für den Präsidentschaftswahlkampf. Wie die Rechtspopulisten in Europa schlägt Trump politisches Kapital aus der Angst der Menschen vor der Veränderung: Globalisierung und Flüchtlinge werden als die Hauptbedrohungen gesehen, differenzierte Betrachtungen als Geschwätz der Washingtoner Machteliten abgetan. In einer Umfrage des Fernsehsenders CNN sagten 56 Prozent der weißen Wähler ohne Hochschulabschluss, sie fühlten sich von der Regierung in der Hauptstadt nicht mehr vertreten. Zorn und Angst der unteren weißen Mittelschicht werden aber nicht reichen, um Trump ins Weiße Haus zu bringen – dafür ist die Entwicklung zu weit fortgeschritten. Laut PEW können die Demokraten mit bis zu 87 Prozent der afroamerikanischen und mit bis zu 63 der hispanischen Wählerstimmen rechnen. Clintons Problem besteht darin, diese Wähler am 8. November an die Urnen zu bringen, denn viele Hispanier und Schwarze können sich nicht im selben Maß für Clinton begeistern, wie sie es 2008 und 2012 für Barack Obama taten.

Obama, der erste schwarze Präsident Amerikas und Clintons Parteifreund, hat die Gefahr erkannt. Er macht Wahlkampf für seine frühere Ministerin und erklärte in der vergangenen Woche, Wählerapathie bei den Afroamerikanern werde er als „persönliche Beleidigung“ auffassen.

Unterdessen arbeitet Trump daran, moderatere Wähler zu umwerben, ohne seine rechtskonservativ bis ausländerfeindliche Stammwählerschaft zu demotivieren. Das Ergebnis ist eine verwirrende Vielfalt von widersprüchlichen Aussagen, aus denen – so hofft Trump jedenfalls – jeder das heraushören kann, was er heraushören will. Auch Trumps kürzliche Distanzierung von der rechtsnationalen Verschwörungstheorie, wonach Obama angeblich nicht in den USA geboren worden und deshalb illegal im Amt sei, dient diesem Zweck. Wenn der Unternehmer bei breiten Wählerschichten um Vertrauen werben will, kann er es sich nicht länger leisten, Spinner-Theorien vom rechten Rand zu propagieren.

Clinton dürfte versuchen, den Unternehmer vor den Live-Kameras zu unbedachten Äußerungen zu reizen

Trump, der plötzlich ganz normale Kandidat? Nicht ganz. Nach den Bomben von New York und New Jersey bedauerte er öffentlich, dass der mutmaßliche Täter, ein 28-jähriger amerikanischer Muslim afghanischer Abstammung, eine ordentliche medizinische Versorgung und einen Rechtsbeistand für das anstehende Gerichtsverfahren erhält. Sein Sohn Donald Jr. verglich extremistische Flüchtlinge mit vergifteten Kaubonbons. Die Empörung, die solche Äußerungen automatisch auslösen, gehören zu Trumps Methode, sich im Gespräch zu halten. Nur muss er versuchen, dies durch ein zunehmend seriöses Auftreten wieder auszugleichen.

Nicht zuletzt dieser Spagat macht die erste Fernsehdebatte so spannend. Laut Medienberichten traf sich der Unternehmer in letzter Zeit immer sonntags mit einigen Beratern – darunter dem wegen Vorwürfen sexueller Übergriffe in die Schlagzeilen geratenen Ex-Chef des konservativen Senders Fox, Roger Ailes – bei Cheeseburgern und Cola, um über die Taktik im Talk gegen Clinton zu sprechen. Bei den Treffen werden demnach mögliche Spitzen gegen die Kandidatin ausprobiert. Clinton kämpfte sich unterdessen durch stapelweise Berichte über Trump und schaute sich das Verhalten ihres Widersachers bei den Fernsehdebatten der republikanischen Bewerber aus dem Vorwahlkampf an. Sie dürfte versuchen, den Unternehmer vor den Live-Kameras zu unbedachten Äußerungen oder schweren Beleidigungen zu reizen, mit denen der Republikaner die große Masse der Wähler abschrecken würde.

So treten an diesem Montag zwei Kandidaten vor die amerikanische Fernsehnation, die mehr damit beschäftigt sind, die eigenen Schwächen zu bekämpfen, als mit Inhalten zu punkten. Der Sieg im November wird jenem Bewerber zufallen, der den Amerikanern nicht als die beste Wahl, sondern als die am wenigsten schlechte erscheint.

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