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Die Schlussworte sind gesprochen, das Duell ist vorbei. Doch wer hat gewonnen?

© dpa

TV-Duell zwischen Merkel und Steinbrück: Die Ruhige und der Beruhigte

„Sie kennen mich“, sagt die Kanzlerin an das Fernsehpublikum gewandt. „Sie wissen, wie ich das mache.“ Herausforderer Peer Steinbrück würde mit diesem Satz auch gerne für sich werben. Tut es aber dann doch besser nicht.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Robert Birnbaum

Wenn Mitleid nicht die abgefeimteste von allen Methoden wäre, einen angezählten Kämpfer fertig zu machen, dann könnte er einem Leid tun. Der Wahlkampf ist nicht so doll gelaufen bisher, die Umfragewerte sprechen beharrlich gegen ihn, und dann kommt dieses Duell und alle sagen vorher: Das ist deine letzte Chance! Die große Wochenzeitung hat sogar geschrieben, es sei dies „Die letzte Patrone“. Vielleicht stimmt das sogar. Vielleicht hat Peer Steinbrück an diesem Sonntagabend die letzte Gelegenheit, sich vor den Augen von Millionen Zuschauern als Alternative zu der Frau zu präsentieren, die die meisten dieser Millionen alternativlos zu finden scheinen. In drei Wochen wird gewählt – also wann, wenn nicht jetzt?

Die Erwartungen sind jedenfalls allseits hoch. Das Studio G in Adlershof füllt sich am Sonntagabend rasch. In der riesigen Halle, nicht weit vom Duellplatz zwei Studios weiter, sammeln sich die Beobachter und die Sekundanten. „Alles wird gut“, sagt der CDU- General Hermann Gröhe zur Begrüßung und erzählt dann noch, dass seine Kinder den Satz immer mit „... so lange Du wild bist“ ergänzen. Er will das aber keineswegs als Motto des Abends verstanden wissen, CDU-seitig. Wolfgang Schäuble ist da sportlicher. Sie hätten vorher Fanchöre einstudiert, behauptet der Finanzminister, so Sachen wie „Einer geht noch, einer geht noch rein!“

Zuschauer schwenken „Angie“-Plakate, Steinbrück murmelt in sich rein

Die CDU-Fangruppe ist auffallend gut besetzt, ganz anders als beim letzten Mal vor vier Jahren. Damals hat Merkel sich intern mächtig geärgert. Diesmal könnten sie glatt eine Präsidiumssitzung abhalten. Außerdem hat jemand dafür gesorgt, dass draußen vor dem Studio bei der Ankunft der Duellanten die Zuschauer am Straßenrand auf einmal lauter „Angie“-Plakate schwenken. Merkel geht kurz rüber und lässt sich umjubeln. Steinbrück verzieht das Gesicht und murmelt etwas in sich rein, das aussieht wie „So’n Scheiß!“

Die SPD, um das gleich nachzutragen, wird in der Sekundantenhalle im Wesentlichen durch die Generalsekretärin Andrea Nahles und durch Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Torsten Albig repräsentiert. Albig war einmal der Sprecher des Finanzministers Steinbrück. Der Rest der Spitzengenossen ist in Kreuzberg im „Radialsystem“ beim Public Viewing, also nahe am Wähler. Immerhin spenden die Roten im Saal ihrem Matador immer wieder Szenenapplaus, während von Schäubles schwarzen Fanchor kein Ton zu hören ist.

Pünktlich um halb neun schaltet die Kamera ins Studio B. Man kennt das Bild ja inzwischen: Vier Moderatoren hinter einem Pult, die Duellanten an ihren Pulten vor der neutralen blauen Wand. Keine Vorrede, gleich zur Sache: Herr Steinbrück, warum sind Sie eigentlich nicht der Favorit?

Der Kandidat ist noch ein bisschen schmallippig. „Das stellt sich erst noch raus“, gibt er zurück.

Frau Merkel, sind Sie sicher, dass bei Ihnen beim Ankreuzen im Wahl-o-mat CDU rauskäme?

„Ich denke, dass da gut CDU rauskommen kann.“

Die Kanzlerin braucht auch noch bisschen zum Warmwerden. Also, weiter: Frau Merkel, tut Ihnen ihr Herausforderer nicht manchmal leid?

„Das hat Herr Steinbrück doch wirklich nicht nötig, dass er mir leid tut!“

Die beiden haben sich ja wirklich mal recht gut verstanden. Fast auf den Tag vier Jahre ist es her, da saß Steinbrück im blaukarierten Freizeithemd Seite an Seite neben Merkel im Airbus „Konrad Adenauer“ über dem Atlantik und die beiden amüsierten sich wie Drittklässler, die dem Lehrer einen Streich gespielt hatten. Hinter ihnen lag der G-20-Gipfel im amerikanischen Pittsburgh, vor ihnen der Wahlabend. Dem Zusammenspiel zwischen der Kanzlerin und ihrem Finanzminister tat das keinen Abbruch, zur gelinden Irritation der übrigen Staats- und Regierungschefs, die sich Wahlkämpfer irgendwie anders vorgestellt hatten. „Die guckten uns an wie Tiere aus’m Zoo“, feixte Merkel. Und Steinbrück gab bekannt, dass sein Lieblings-Western „Zwei glorreiche Halunken“ sei, woraufhin beide schmunzeln mussten. Sie hatten ja ein ähnliches Duo abgegeben an jenem Sonntagabend auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, als die Kanzlerin und der Finanzminister dem verblüfften Fernsehpublikum verkündeten, dass die Regierung die deutschen Spareinlagen garantiere. Vielleicht hat der Auftritt wirklich verhindert, dass das Banksystem in die Luft flog. Bis heute steht er jedenfalls dafür, dass die große Koalition funktioniert hat, als es darauf ankam, weil wichtige Leute miteinander konnten.

Bei wem konnten Merkel und Steinbrück punkten?

Vier Jahre später wollen sie ganz und gar nicht mehr miteinander können. Das trägt, wie man es kennt von geschiedenen Ehen, durchaus kindische Züge. Sie hat ihn bisher komplett ignoriert. Er kann sich umgekehrt gar nicht bissig genug darüber echauffieren, was sie alles falsch mache oder jedenfalls immer zu spät. Insofern ist dieses Duell schon ein rechter Segen. Ignorieren geht auf knapp zwei Meter Abstand nicht. Umgekehrt ist es zumindest schwerer, wüste Vorwürfe zu erheben, wenn da eine steht, die widerspricht.

Und Widersprechen, das ist erkennbar Programm an diesem Abend. Sie schenken sich da beide nichts. Merkel malt unverdrossen ihr Bild von einem Deutschland, dem es gut geht, auch wenn noch nicht alle Probleme gelöst sind: „Wir ham das gut gemeistert, alles in allem.“ Steinbrück malt unbeirrt sein Bild von einem Deutschland mit einer tief gespaltenen Gesellschaft und zahllosen verschleppten Reformen: „Dazu bedarf es einer Regierung, die geführt wird!“ Dann stellt wieder einer der Moderatoren eine Frage, wird aber ignoriert, weil die Frau Kanzlerin erst noch etwas richtig stellen will, was der Herr Kandidat da behauptet hat oder der Herr Kandidat noch mal erinnern will, dass soundsoviele Millionen Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen ...

Woraufhin Merkel milde mahnt: „Wir sollten doch nicht immer alles in düsteren Farben malen!“

Selbst Stefan Raab kommt lange richtig durch gegen diese entschlossene Wand. „Darf ich noch zu Ende reden?“ tadelt Merkel ein ums andere Mal jeden Versuch, ihre Darstellung des CDU-Programms kurz zu unterbrechen. „Ich muss jetzt aber erst noch etwas zum Mindestlohn sagen“, sagt Steinbrück und trägt das SPD-Programm vor.

Merkel verteilt unerbetene Komplimente, Steinbrück spricht von bunten Schachteln

Dabei hat der Entertainer in der Reihe der Polit-Moderatorenprofis, der Maybritt Illner, Peter Klöppel, Anne Will ja eigentlich die Rolle des Verstörfaktors. Jedenfalls hat sich das Edmund Stoiber wohl so vorgestellt, als er Raab für diese Runde empfohlen hat. Der Bayer sorgt sich um die Demokratie wegen der vielen Nichtwähler. Die Sorge macht offenbar kreativ. Wenn Politiker nicht freiwillig zum Raab gehen und im Wok um die Wette rodeln, hat er sich gedacht, dann muss der Raab halt zu den Politikern. Steinbrück hat seinerzeit kurz dagegen protestiert, weil, das Duell sei eine ernsthafte Sache und keine Unterhaltung. Stoiber ist da übrigens schon einen Schritt weiter. Er hat sich für einen Fernsehspot, der Nichtwähler gewinnen soll, mit Filzhut, Rauschebart und Dackel als alpenländischer Spießbürger verkleidet, ist also auf dem besten Weg zum Youtube-Jugendkult.

Raabs Stunde wird erst am Schluss schlagen. Aber davor liegen eben noch gut eineinhalb Stunden im Studio B. Alle Themen kommen zur Sprache, die irgendwie in der Luft liegen, von Griechenland über Mindestlöhne und Renten zum Abhörskandal.

Merkel beruhigt, wie es ihr Art ist, warnt bei passender Gelegenheit vor Leuten, die die Steuern erhöhen und den Wohlstand gefährden wollten - Steinbrück protestiert prompt gegen „diese Geisterbahn, in die uns unsere politischen Kontrahenten hineinführen wollen“ - und umwebt ansonsten den Gegenspieler mit einem Netz aus unerbetenen Komplimenten. „Wenn nicht Wahlkampf wäre, würden Sie nicht so reden“, sagt sie, als Steinbrück ihre Euro-Rettungspolitik für gescheitert erklärt. Einmal landet sie sogar einen Gegentreffer. Als Steinbrück ankündigt, dass er nach der Wahl an die Pensionen ran will, stößt Merkel hinein: Das heiße dann aber auch weniger Geld für Polizisten und andere Geringverdiener im öffentlichen Dienst.

Aber Steinbrück lässt sich nicht reizen. Hinterher wird ein Spitzengenosse gestehen, dass er davor echte Angst hatte: dass der Kandidat ausfällig wird und überzieht. Aber Steinbrück greift nur an, der Klartext-Steinbrück mit Reizbildern, die hängen bleiben. Über die vielen bunten Schachteln spricht er da, die die Schwarz-Gelben ins Schaufenster gestellt hätten und die aber alle, alle leer seien. Von Anpacken ist die Rede und, als Gegenbild, vom Verschleppen und Verzögern.

Steinbrück, hat vorher einer der Nachdenklicheren aus der SPD gesagt, müsse ja nicht unentschlossene Wähler umstimmen. Er müsse an die eigenen Leute die Botschaft senden: Ich bin noch da, und wir haben eine Chance. „Woher wissen Sie das?“ raunzt er Raab an, als der ihm vorrechnet, dass aus seiner Lieblingskoalition Rot-Grün ja nun doch eher nichts werde. Umfragen hin oder her – entschieden wird in drei Wochen, und vom Wähler, nicht von Kommentatoren und Demoskopen. Die Roten im Nebensaal applaudieren wieder. Mission erfüllt.

Peer Steinbrück hat "ein gutes Gefühl im Bauch"

Am Schluss versucht es Raab noch einmal. Wenn er, sagt der Showmaster, einen wie den Steinbrück gut finden würde, aber sich eine große Koalition wünsche wie die meisten Deutschen, was er dann wählen solle? Steinbrück lässt sich nicht aufs Glatteis führen. Entweder Rot-Grün oder gar nichts. Schlussfrage an Merkel: Ob sie der FDP als Partner ihr berüchtigtes volles Vertrauen aussprechen würde? Merkel würde, allerdings auf Nachfragen, „allervollstes Vertrauen“ sogar. Ansonsten findet sie es komisch, dass die SPD nicht mehr in eine große Koalition will.

Gerade noch bleibt Zeit für die Schlussworte; jeder eine Minute 30, so ist das vereinbart. Steinbrück sagt, dass er vor 45 Jahren in die SPD eingetreten sei, weil er den Aufbruch wollte. Und dass er wieder einen Aufbruch wolle, weil Deutschland das brauche. Merkel hat das Los das letzte Wort gegeben. „Sie kennen mich, sie wissen, was ich anpacken möchte und wie ich das mache“, sagt sie. „Und jetzt wünsche ich Ihnen einen schönen Abend.“

Bild aus, Ton aus. Das Duell ist zu Ende. Im Nebensaal im Studio G beginnt die Arbeit an der Deutung: Und, wer hat gewonnen?

Auf einmal Unruhe, ein Pulk schiebt sich hinein – Merkel und ihre engsten Mitarbeiter. Sie wolle sich bloß mal bedanken, sagt sie. Steinbrück hat sich sofort ins Auto geworfen und ist zu den Genossen ins „Radialsystem“ gebraust. „Ich habe gute Gefühle im Bauch“, sagt er. „Denn sie war erkennbar mehr unter Druck als ich.“ Die Demoskopen haben schon im Volk nachgefragt. Unentschieden, vermelden sie, Steinbrück bei den Männern vorne, dafür Merkel bei den Frauen. Ein Unentschieden wäre ein Punkt für den Mann, der bisher abgeschlagen hinten lag. Aber reicht ein Unentschieden für die Aufholjagd? „Einer will Deutschland führen“, sagt ein Sozialdemokrat, „und die andere sagt Deutschland gute Nacht.“ Also, wer hat gewonnen, Frau Bundeskanzlerin? „Deutschland hat gewonnen“, sagt Merkel.

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