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Politik: Tyrannenmord

Er war 18, als der Blitz in sein Leben einschlug. Und es war ein verbranntes Leben fortan.

Er war 18, als der Blitz in sein Leben einschlug. Und es war ein verbranntes Leben fortan. Er hatte einem Mann in die Augen gesehen, ein paar Jahre älter als er, und er hatte ein seltsames Glück gespürt. Wie noch nie zuvor und nie nachher wieder. Und er wusste sofort, dass das ein verbotenes Glück war. Also richtete er Mauern auf, um sich und um sein Leben, die ihn von nun an unverletzlich machen sollten gegen alles, was da verstören konnte. Er heiratet, hat zwei Kinder und einen Alltag wie alle, und wird alsbald zum Tyrannen seiner Familie. Weil er sich selbst ein Glück verboten hat, das ihn erschauern ließ, predigt er nun Verzicht und Verbot als heiligste Prinzipien und entwirft so die Diktatur der Entsagung, der Genussfeindlichkeit.

Ursula Fricker hat diese Geschichte in ihrem Debütroman „Fliehende Wasser“ aufgeschrieben. Es ist ein schmales Buch von großer Wucht, Sprachfantasie und Erzählkunst, die geradezu spielerisch mit Zeitebenen und Schreibperspektiven jongliert. Immer gewaltiger, ja gewalttätiger werden die Bilder dieser erschreckenden Welt der Abkapselung, der brutalen Selbstkasteiung, der Vereinsamung und Beziehungslosigkeit, und am Ende führen sie wie zwangsläufig in die Katastrophe. Ursula Frickers Roman spielt in der Gegend, aus der sie selbst kommt, im Norden der Schweiz um Schaffhausen in den 50er Jahren. Und diese Verortung verleiht ihrer Geschichte eine lokale Grundierung, die den Schrecken doppelt: Die grässliche Beschränktheit dieser Welt ist keine bloße Fiktion, sondern ein Verweis auf ganz reale Verhältnisse.

Ursula Fricker: Fliehende Wasser. Roman. Pendo Verlag, Zürich. 170 Seiten, 16,90 €.

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