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Politik: Über die Grenzen der Toleranz

JUNGE GEWALTTÄTER

Von Lorenz Maroldt

Diese Geschichte klingt wirklich unglaublich; doch sie ist tatsächlich geschehen. Ein 16Jähriger will seine Freundin rächen, die von einer Mitschülerin „Schlampe“ genannt worden war. Er stürmt eine Schule in Berlin, zerrt das Mädchen über den Hof und schlägt brutal fünf Lehrer zusammen. Hunderte Schüler sehen zu. Zwei Polizisten, die wegen eines anderen Vorfalls ein Auge auf die Umgebung werfen sollen, sitzen zur selben Zeit in der Schul-Caféteria. Der Vater des Jungen, ein Iraner, sagt, er sei stolz auf seinen Sohn; die Mutter, eine Deutsche, droht dem Schulleiter: Wird ihr Junge bestraft, schickt sie ihren Mann vorbei. Die Polizei kennt den Jungen. Er war gerade mal neun Jahre alt, als ihm die erste Körperverletzung vorgeworfen wurde. Seitdem hat die Polizei mehr als sechzig Vorfälle registriert – Verdacht auf Körperverletzung, Raub, Drogendelikte. Verurteilt wurde er nie.

Die Geschichte erinnert an einen anderen Fall aus Berlin. Ein 20-jähriger Libanese hatte mehr als achtzig Ermittlungsfälle auf seinem Konto. Die Polizei erklärte: Da können wir nicht viel tun, und es gibt noch viele wie ihn.

Neu sind solche Geschichten nicht, nicht einmal die spektakulären. Neu ist, wie offen über mögliche Konsequenzen gesprochen wird: für die Arbeit von Polizei, Justiz und Jugendamt, vor allem aber für die Integrationspolitik. Es ist kein Zufall, dass dies in Berlin geschieht, und es ist bezeichnend, dass dies keine Domäne der politischen Rechten mehr ist. Berlins SPD-Chef Strieder sprach von den Grenzen der Toleranz, und Innensenator Körting erklärte, ausländische Eltern verhinderten die Integration ihrer Kinder. Der empörte Aufschrei, früher noch obligatorisch, blieb aus; auch das ist kein Zufall.

Das eröffnet Chancen, das birgt auch Gefahren. Doch zunächst einmal hilft es, das Problem zu beschreiben. Die Fälle weisen Ähnlichkeiten auf. Dazu gehört, dass die Täter, selbst wenn sie in Deutschland geboren sind, im Geiste einer anderen Kultur aufwuchsen. Ihr Stolz ist schnell verletzt, Beleidigung ist oft ein Motiv für Gewalt. Die westeuropäische Kultur wird nicht geachtet, zuweilen gar verachtet. Das Leben ist hart, sie sind hart – der Rechtsstaat ist schwach, er lässt sich fast alles gefallen. Innerhalb ihres eigenen Kulturkreises, sei es in der abgeschotteten Berliner Wohnung, sei es zu Besuch im Land der Eltern, benehmen sich die jugendlichen, manchmal sogar noch kindlichen Serientäter meistens ganz brav, aus Angst vor Strafe. Die aber müssen sie hier, wie gesehen, kaum haben, nicht einmal vor dem Staat.

Auffällig auch, welche Rolle die Familien spielen. Fast immer betonen die Eltern, sei es durch Worte, sei es durch ihr Verhalten, wie fern sie dem Leben in Deutschland sind. Das muss nicht nur an ihnen liegen. Der stolze Vater des Schulhofschlägers, vor mehr als zwanzig Jahren aus dem Iran gekommen, sagt, er sei hier nie willkommen gewesen. Er hat die so empfundene Gegnerschaft angenommen und auf seinen Sohn übertragen. Es hilft aber keinem, darauf Rücksicht zu nehmen. Wir können uns bemühen, nicht ablehnend aufzutreten, aber wir müssen erwarten, dass die Regeln dieser Gesellschaft, auch die moralischen, beachtet werden – egal von wem, egal unter welchen Bedingungen. Um das zu erreichen, muss ganz offenbar der Druck erhöht werden. Eltern, die immer wieder grobe Verfehlungen oder gar Straftaten ihrer Kinder so demonstrativ oder auch nur stillschweigend unterstützen, erzwingen entsprechende Reaktionen, ganz ungeachtet ihrer Herkunft. Sie gefährden obendrein aber auch das, was mit multikulturell einmal gemeint war: Friedlichkeit und Weltoffenheit. Beides wollen wir bewahren. Deswegen müssen wir handeln.

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