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Politik: Über diese Brücke sollst du geh’n

IRAK-RESOLUTION DER EU

In Brüssel hält man die Uhren an, wenn Europa wieder einmal über eine schwierige Hürde gehoben werden muss. Die Zeit läuft weiter, aber man gibt sich die Chance für einen Kompromiss. Auch die gemeinsame Resolution der Staats- und Regierungschefs hat die Uhr angehalten, aber die späte, aus dem Dissens heraus erreichte Einigkeit zählt zunächst nur auf der europäischen Ebene. Was sie sonst noch wert ist, vor allem: Ob sie in der Lage ist, den Prozess des Ringens um eine kriegerische oder eine friedliche Lösung des Irak-Problems mitzubestimmen, muss sich erst noch herausstellen. Europa hat sich sozusagen selbst gerettet, in letzter Minute. Immerhin hat es damit die Chance genutzt, die ihm die Entwicklungen der letzten Tage – zuerst der Blix-Report vom vergangenen Freitag, dann die Protestwoge des Wochenendes – gegeben haben.

Und man merkt dem Beschluss die zähe, unter dem Druck der Kriegs- und der Protestdrohung gleichermaßen stehende Prozedur an, aus der er entstanden ist. Es ist ein Kompromiss, in dem sich alle die Gegensätze des „neuen“ und des „alten“ Europas, die Parteigänger der harten Linie und die Verfechter eines weicheren Weges wiederfinden: Erklärt wird die Vermeidbarkeit des Krieges, aber auch seine Berechtigung als „letztes Mittel“, der Irak wird zur Kooperation gedrängt, und die Inspekteure bekommen ihre Chance, gegen die Festlegung auf eine Befristung. Die Fronten der letzten Woche werden nicht aufgelöst. Es wird eine Brücke gezimmert, über die am Ende alle gehen können sollen.

Auch der Bundeskanzler, der diesen von der griechischen Präsidentschaft initiierten Gipfel sehr befürwortet hatte: Der Beschluss lässt sich ja gut als Bekräftigung seines Plädoyers für die Nutzung politischer Mittel verstehen – und gibt ihm zugleich den Spielraum, die bisherige Ablehnung etwas an die Seite zu schieben. Es ist richtig, dass das bereits in der deutsch-französisch-russischen Erklärung angedeutet war. Dass es sich um einen Ruderschlag handelt, um aus der isolierten Position herauszukommen, ist gar nicht zu verkennen – auch wenn der Kanzler nun, aus Brüssel zurück und wieder im Berliner Milieu, schon wieder zurückrudert. Es bleibt dabei, dass die Bundesrepublik mit der Unterstützung dieses Beschlusses wieder eine europäisch vermittelbare Position gewinnt.

Der tiefe Spalt in Europa, den der Irak-Konflikt aufklaffen ließ, ist mit dem Kraftakt dieser Resolution freilich bestenfalls notverbunden. Die Erklärung der acht Unterstützerstaaten Washingtons bezweckte, gewiss doch, keinen Bruch in Europa. Aber ein scharfes Licht auf die labile Konsistenz des Kontinents im Krisenfall hat sie doch geworfen. Der Schock steckt den Europäern noch in den Knochen. Der Ausfall des französischen Präsidenten Chirac belegt eben das – und zugleich ist diese Erklärung ein herbes Signal dafür, dass noch gewaltige Anstrengungen notwendig sind, bis Europa mit einer Stimme spricht.

Ob die gemeinsame Resolution der Gegenbeweis ist, weil in ihr, wie EU-Kommissar Verheugen gesagt hat, „die Grundlinien europäischer Außenpolitik wieder schärfere Gestalt annehmen“, kann man getrost bezweifeln. Dafür sind die Sollbruchstellen zu groß. Es ist ja keineswegs ausgemacht, dass die Brüsseler Erklärung im Sicherheitsrat hält, wenn sie sich gegen den Druck Washingtons behaupten muss. Es kann durchaus sein, dass sie dann als politisch-diplomatische Notmaßnahme zur Rettung eines Restes von europäischer Gemeinsamkeit erkennbar wird. Weder im Falle Großbritanniens noch in dem von Spanien ist jedenfalls Verlass darauf, dass sie sich dort, wo sie in erster Linie als Träger ihrer staatlichen Souveränität auftreten, durch Europa gebunden fühlen.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Es ist Europas geringes Gewicht als eigenständige weltpolitische Größe. Die Gemeinschaft ist in erster Linie, ja, in ihrem Grundstock wohl überhaupt, aus dem Stoff von Handel und Wirtschaft und zunehmend auch aus dem Geflecht transnationaler Normen gemacht. Als außen- und sicherheitspolitische Instanz befindet sie sich bestenfalls im Ausbildungsstadium. Das Beste an der Brüsseler Resolution besteht wahrscheinlich darin, dass sie den Wunsch demonstriert, diese Anfänge festzuhalten.

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