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Über Gilad Schalit: Türkei und Israel kommen sich näher

Das türkische Engagement im Fall Schalit nährt Hoffnungen auf ein Ende der Eiszeit mit Israel - noch im September wurde der israelische Botschafter aus seiner Botschaft in Ankara geworfen.

In seinen öffentlichen Äußerungen zählt der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu den schärfsten Kritikern Israels auf der internationalen Bühne. Erst in der vergangenen Woche bezeichnete er den jüdischen Staat als Bedrohung für den ganzen Nahen Osten. Hinter den Kulissen ist Erdogans Haltung aber offenbar wesentlich pragmatischer. Wie türkische und israelische Politiker bestätigen, engagierte sich Erdogan persönlich in den Verhandlungen für eine Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Schalit. Nun regt sich die leise Hoffnung, dass der Fall ein Ende der Eiszeit zwischen Türkei und Israel einleiten könnte.

Vor fünf Jahren erregte Erdogans Regierung Aufsehen, als sie eine Delegation der vom Westen als Terrorgruppe eingestuften Hamas-Organisation nach deren Wahlsieg nach Ankara einlud. Erdogan äußerte erst vor wenigen Wochen den Wunsch, den von der Hamas regierten Gaza-Streifen zu besuchen. Auch die Hilfsorganisation IHH, die im Mai 2010 den von Israel angegriffenen Schiffskonvoi nach Gaza organisierte, unterhält gute Kontakte zur Hamas.

Seit Schalits Gefangennahme durch Hamas-Kämpfer 2006 nutzte die Türkei offenbar immer wieder ihre guten Verbindungen zu der radikalen Palästinenser-Organisation, um sich für die Freilassung des Mannes einzusetzen. Außenminister Ahmet Davutoglu erklärte jetzt, die Türkei sei in die Verhandlungen eingebunden gewesen und habe sich auch als Bote betätigt, etwa bei der Übermittlung von Informationen zu Schalits Gesundheitszustand. Bei allem Eigenlob beeilte sich Davutoglu gleichzeitig, den Ägyptern den Löwenanteil am Erfolg der Bemühungen zuzusprechen.

Erdogan soll erst vor wenigen Monaten versprochen haben, sich persönlich in den Fall einzuschalten, nachdem er einen Brief von Schalits Vater Noam erhalten hatte. Das Engagement Erdogans sei für ihn eine positive Überraschung gewesen, lobte der israelische Staatspräsident Schimon Peres. Die Türken hätten die Krise zwischen beiden Ländern hintangestellt und sich ganz auf den humanitären Fall Schalit konzentriert.

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Der türkische Premier hat mehrfach betont, dass er nichts gegen die Israelis an sich hat, sondern nur etwas gegen die Regierung. Ankara verlangt eine Entschuldigung und Entschädigungszahlungen für den Tod von neun türkischen Aktivisten beim israelischen Angriff auf die Gaza-Flotte im vergangenen Jahr, doch Israel lehnt dies ab. Ohne Erfüllung dieser Vorbedingungen werde es keine Normalisierung der Beziehungen zwischen den früheren Partnern geben, sagt Erdogan. Im September warf die Türkei den israelischen Botschafter aus dem Land.

Das türkische Engagement im Fall Schalit sei eine „vertrauensbildende Maßnahme“ mit Blick auf Israel gewesen, sagte der Ankaraner Nahost-Experte Mehmet Sahin am Donnerstag dem Tagesspiegel. Die Frage sei nun, wie die israelische Regierung reagieren werde. Im Kabinett Netanjahu gebe es einige Minister, die angesichts einer fortschreitenden Isolierung Israels in der Region für eine Normalisierung der Beziehungen mit Ankara einträten. Doch Hardliner wie Außenminister Avigdor Lieberman seien dagegen. Sahin verwies darauf, dass Israel kurz nach Bekanntgabe des Austausches von Schalit gegen 1027 palästinesische Häftlinge den Ägyptern eine Entschuldigung für den Tod von fünf ägyptischen Grenzsoldaten bei einer israelischen Operation im August angeboten habe. Ob nun eine Entschuldigung an die Türkei bevorstehe, sei aber ungewiss.

Fest steht, dass die Türkei weiter auf ihren Forderungen nach einer Entschuldigung und nach Entschädigungszahlungen an die Familien der getöteten Gaza-Aktivisten beharren dürfte. Der Fall Schalit könnte aber in Israel die Position jener Politiker stärken, die für die Erfüllung dieser Forderungen eintreten. Ankara sieht den Ball deshalb im Feld der Israelis und wartet ab. Auf die Möglichkeit angesprochen, dass Schalits Freilassung die Chancen auf eine Erholung der türkisch-israelischen Beziehungen erhöht haben könnte, erwiderte ein hochrangiger türkischer Diplomat: „Da müssen Sie die Israelis fragen.“

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