zum Hauptinhalt

Politik: „Überhöhtes Mutterbild“

Teilzeit eröffnet beruflich keine Chancen, sagen Wissenschaftler – vor allem in Ländern mit konservativen Geschlechterrollen. Das liberale Schweden macht vor, wie es gehen kann.

Teilzeitarbeit ist eines der wichtigsten Instrumente in Deutschland, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sichern sollen. Es funktioniert aber nur in Grenzen – zu größerer Zufriedenheit bei den Frauen jedenfalls hat es nicht geführt. „Wir nennen es das Teilzeitparadox, dass in Ländern wie Deutschland, in denen die Teilzeitarbeit von Müttern am verbreitetsten ist, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als am schwierigsten eingeschätzt wird“, sagt Stefan Stuth vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). In Dänemark beispielsweise, wo die Frauen die Wahlfreiheit zwischen Voll- und Teilzeitarbeit haben, schätzen die Frauen, die sich bewusst für Teilzeit entscheiden, die Vorteile viel mehr als in Deutschland, sagt Stuth, der seit Jahren am WZB zum Thema Arbeitsmarkt und Frauen forscht.

Die Leiterin des WZB, Jutta Allmendinger, prangert seit Jahren die Teilzeitarbeit von Frauen und Müttern an: „Eine Teilzeitstelle eröffnet keine Karrierechancen und sichert Müttern im Alter kein unabhängiges Renteneinkommen“, lautet ihr Fazit. Das sieht man auch daran, dass die meisten Teilzeitjobs von Frauen gemacht werden, die meisten Managerposten aber noch immer von Männern besetzt werden. Eine noch unveröffentlichte Studie des WZB über Manager belegt, dass Karriere und Teilzeit in Deutschland besonders schwer zu vereinbaren sind. So arbeiten in Finnland 4,4 Prozent der männlichen Manager Teilzeit – in Deutschland ist es nur ein Prozent. „Je konservativer die Geschlechterrollen in den Ländern sind, desto seltener arbeiten Führungskräfte Teilzeit“, fasst Stuth zusammen. Im Umkehrschluss: Karriere und Teilzeit passen nicht zusammen. Deutschland gehört mit Österreich und der Schweiz zu den „konservativen“ Ländern in Europa – und belegt damit regelmäßig mittlere bis letzte Plätze bei Geburtenrate, Ausbau der Infrastruktur zur Kinderbetreuung, weiblicher Berufstätigkeit, Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau im Berufsleben und bei der Einkommensgleichheit zwischen Mann und Frau. „In diesen Ländern herrscht ein überhöhtes Mutterbild vor, das davon ausgeht, dass insbesondere ein kleines Kind nur von der Mutter betreut werden kann und ansonsten leidet. Weiterhin werden Hausarbeit als weiblich und Erwerbsarbeit als männlich gewertet – nehmen Sie zum Beispiel die abwertende Bezeichnung des Wickelvolontariats, mit der die Elternzeit von Vätern bezeichnet wird“, sagt Stuth. Die Entwicklung in Deutschland ist geprägt durch den langsamen und unzureichenden Ausbau der Kinderbetreuung, insbesondere für die Kleinsten; durch ein Steuersystem, dass Dank Ehegattensplitting das Modell eines einzigen Ernährers und eines Zuverdieners begünstigt, während in Schweden zwei niedrige oder mittlere Einkommen steuerrechtlich besser dastehen; und durch eine Familienkrankenkasse, die erwerbslose Ehefrauen absichert, während die erwerbstätige Frau sich mit zusätzlichen Kosten versichern muss. Damit fällt ein weiterer finanzieller Anreiz für Erwerbsarbeit weg.

Dagegen hat Familienpolitik in Schweden die Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Arbeitsleben im Fokus. So wird bei Kinder- oder Altenbetreuung viel mehr vom öffentlichen Sektor übernommen als in Deutschland, wo dies lange als Privatsache angesehen wurde. Eine Studie der Friedrich-Ebert- Stiftung (FES) zeigt, dass Schweden ein ausgewogenes Verhältnis zwischen männlicher und weiblicher Erwerbstätigkeit hat. Auch die Armutsprävention ist dort am wirksamsten, weil so viele Mütter arbeiten. Daher sind in dem Land, wo nichttraditionelle Familienformen am meisten verbreitet sind, die Alleinerziehenden am wenigsten von Armut bedroht. „Familienpolitik erweist sich hier als integrierte Gleichstellungspolitik, die aktiv die Auflösung traditioneller Geschlechterbilder befördert“, finden die Autoren der FES-Studie, Anneli Rütling und Karsten Kassner.

Das deutsche „modernisierte Ernährermodell“ finden die Autoren dagegen problematisch, weil es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf über die Teilzeitarbeit der Mütter herstellt. Damit werde aber keine gleichwertige Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern zugelassen. Andrea Nüsse

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false