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Politik: Überraschung gelungen

Der Terror-Verdächtige Mzoudi ist frei – das Gericht hat erste Zweifel an seiner Schuld

Von Frank Jansen

Abdelghani Mzoudi wartete, vorläufig ein letztes Mal als Gefangener. Kurz nach 12 Uhr dann verkündete der Vorsitzende Richter des 3. Strafsenats des Hamburger Oberlandesgerichts, Klaus Rühle, seine überraschende Entscheidung im zweiten Prozess um die Terroranschläge des 11. September: „Der Angeklagte Mzoudi ist sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen.“

Der Marokkaner lächelte, seine Anwältin Gül Pinar und ihr Kollege Michael Rosenthal lachten. Nicht mal auf ihrer Hochzeit habe sie so viel gelacht, sagte Pinar später. Sie hatten es geschafft: Zweifel an der Schuld ihres Mandanten hatten das Gericht doch noch übermannt. Dann verließ Mzoudi den Gerichtssaal. „Er ist ganz aufgeregt“, sagte Gül Pinar. Mzoudi tat, was einem frommen Muslim in dieser Situation, angesichts der kaum noch erwarteten Wende, zwingend erscheint: Er ging in das Zimmer, das in dem wuchtigen Gebäude für die Verteidiger reserviert ist – und betete. Pinar und Rosenthal schirmten Mzoudi ab. Niemand durfte ihn stören.

Mzoudis Gebet wirkte wie ein Schlusswort in einem Prozess, der schon vor seinem Beginn problematisch erschien. Im Februar hatte der Strafsenat Mzoudis Landsmann Mounir al Motassadeq zu 15 Jahren Haft verurteilt, wegen Beihilfe zum Terrorangriff auf die USA und damit zum Mord an 3066 Menschen. Zweifel an der Schuld Motassadeqs hatte das Gericht nicht.

Anlass zum Zweifel aber gibt es, damals wie im Fall Mzoudi. Ein Beispiel: Der spätere Selbstmordpilot Marwan al Shehhi habe im Frühjahr 1999 in der Hamburger Universität gesagt, „ihr werdet noch sehen, es wird tausende Tote geben“, berichtete eine Bibliothekarin vor Gericht. Al Shehhi habe auch das World Trade Center erwähnt. Die Aussage der Zeugin interpretierte das Gericht als wichtigen Beweis: Demnach hatte die Hamburger Zelle schon im Frühjahr 1999 beschlossen, den USA einen schweren Schlag zu versetzen. Doch ein Bekannter der Bibliothekarin, der nach ihren Angaben al Shehhis finstere Drohung mitbekam, erinnerte sich an nichts. Die Zeugin brachte auch die angeblichen Worte al Shehhis in keinen Zusammenhang mit Motassadeq. Doch das Gericht setzte sich darüber hinweg. Und der von der Bibliothekarin geschilderte Vorfall gilt auch im Mzoudi-Prozess als bedeutsam.

Ende Oktober nannte Richter Rühle die Aussage der Zeugin als einen Grund für die Annahme, Mzoudi sei „hochwahrscheinlich“ der ihm ebenfalls vorgeworfenen Beihilfe zum Mord schuldig. Und wies den Antrag der Verteidigung, den Haftbefehl aufzuheben, zurück. Da irritierte das Gericht auch nicht, dass der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, kurz zuvor als Zeuge gesagt hatte: Die Anschläge des 11. September wurden weder im Frühjahr 1999 noch in Hamburg geplant, sondern erst Ende des Jahres in Afghanistan.

Damit ist die Anklage gegen Mzoudi erschüttert. Und auch das Urteil gegen Motassadeq, was Richter Rühle nach Fromms Aussage zugab: Sollten dessen Angaben stimmen, hätte Motassadeq „freigesprochen werden müssen“. Fünf Tage später lehnte er aber den Antrag ab, Mzoudi aus der U-Haft zu entlassen. Doch als am Donnerstag das Bundeskriminalamt im Fax an die Bundesanwaltschaft eine „Auskunftsperson“ erwähnt, die einem Dritten etwas gesagt haben soll, was möglicherweise nicht glaubwürdig sei, verkündet der Richter: Mzoudi sei „nicht mehr dringend verdächtig“.

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