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Protest. Am 5. Juli 2009 eskalierten die Auseinandersetzungen in Xinjiang.

© AFP

Uiguren: China versucht Xinjiang mit Geld und Knute zu stabilisieren

Ein Jahr nach der Revolte in Xinjiang versucht die chinesische Führung die Region mit wirtschaftlicher Förderung zu stabilisieren – doch die Uiguren wollen vor allem Respekt.

Es ist nur eine kurze Meldung, doch sie sagt viel über die aktuelle Situation in der Region Xinjiang. 40 000 Überwachungskameras wurden laut chinesischen Medienberichten von Freitag in der Hauptstadt Urumqi installiert. Sie sollen eine Rundumüberwachung von Bussen, Haltestellen, Straßen, Schulen und Einkaufszentren ermöglichen. Nervös blicken die chinesischen Behörden auf die Region im Nordwesten Chinas. Ein Jahr nach den blutigen Unruhen zwischen Han-Chinesen und Angehörigen der muslimisch-uigurischen Minderheit hat sich die Situation zwar beruhigt. Doch die Lage zwischen den beiden ethnischen Gruppen ist weiterhin angespannt.

Es war eine Nachricht aus der weit entfernten Provinz Guangdong, die zum Auslöser der ethnischen Auseinandersetzungen wurde. In einer Spielzeugfabrik tötete eine aufgebrachte Menge Han-Chinesen zwei uigurische Arbeiter, die angeblich zwei chinesische Frauen vergewaltigt hatten. Es war nur ein Gerücht, die Vergewaltigungen hat es nicht gegeben. Die Empörung über die Bluttat entlud sich in der uigurischen Heimat der getöteten Arbeiter. Nach einer erst friedlichen Demonstration am 5. Juli letzten Jahres eskalierte die Situation in Urumqi. Einige Uiguren gingen auf Han-Chinesen los, traten auf sie ein, erschlugen sie mit Stöcken. Zwei Tage danach begann der Rachefeldzug von Han-Chinesen gegen Uiguren. Nur mit einem brutalen Militäreinsatz bekam die chinesische Provinzregierung die Lage unter Kontrolle. Die genaue Zahl der Todesopfer ist immer noch unklar. Nach offiziellen Angaben kamen 197 Menschen ums Leben, 1700 wurden verletzt. Exil-Uiguren gehen von deutlich höheren Opferzahlen aus.

Etwa acht Millionen muslimische Uiguren leben in Xinjiang. Sie versuchen, trotz der Zugehörigkeit zu China ihre Kultur und Religion zu bewahren. Seit Jahrzehnten siedelt die chinesische Regierung Han-Chinesen in der Region an und bietet ihnen finanzielle Anreize, denn für Chinas Führung ist Xinjiang wegen seines Rohstoffreichtums wichtig. Gerade einmal sechs Prozent betrug der Bevölkerungsanteil der Han-Chinesen noch vor 50 Jahren, mittlerweile sind es 40 Prozent. Uiguren haben immer schlechtere Chancen Arbeit zu finden, fühlen sich zusätzlich religiös unterdrückt. „Die Situation der Uiguren hat sich seit den Unruhen verschlimmert“, meint der Ökonom Ilham Tohti, führender Vertreter der muslimischen Minderheit. Tohti, der an der Zentralen Universität für Nationale Minderheiten in Peking lehrt, bezeichnete die Annäherung von Uiguren und Han-Chinesen im derzeitigen Klima als „sehr schwierig“. Der chinesischen Regierung wirft Tohti vor, dem enormen Problem in Xinjiang keinerlei Strategie entgegenzusetzen.

Nur langsam hat die Regierung die Überwachung in Xinjiang gelockert. Erst seit März sind Mobiltelefone und Internet wieder vollständig zur Nutzung freigegeben. Doch rund um den Jahrestag sind die chinesischen Sicherheitsbehörden wieder in Alarmbereitschaft. Bereits Mitte Juni kündigten die Provinzbehörden an, das Polizeiaufgebot an öffentlichen und belebten Plätzen in Urumqi zu verstärken. Zusätzlich setzt die chinesische Zentralregierung auf massive Wirtschaftsförderung, um die Region dauerhaft zu stabilisieren. Bereits im Mai gab Chinas Führung bekannt, dass ab 2011 umgerechnet über eine Milliarde Euro in die Entwicklung Xinjiangs fließen sollen. Bestehende Investitionsprogramme sollen ausgebaut werden und den Lebensstandard verbessern. Über eine neu eingeführte Steuer auf die Öl- und Erdgasförderung soll die Lokalregierung in Xinjiang mehr vom eigenen Rohstoffreichtum profitieren.

Der Chinaexperte Eberhard Sandschneider, Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, hält Wirtschaftsförderung jedoch nur bedingt für tauglich, der Region Frieden zu bringen. Und das auch nur, wenn es der chinesischen Regierung gelänge, größere Teile der uigurischen Bevölkerung am Wirtschaftswachstum partizipieren zu lassen. „Letztendlich handelt es sich bei dem Unruhepotenzial in Xinjiang wie auch in Tibet um das Kernproblem der Integration nicht-chinesischer Minderheiten in den chinesischen Staat, vor allem aber um die Frage kultureller und politischer Autonomie“, so Sandschneider. Eine verstärkte Wirtschaftsförderung sei „alles andere als eine Garantie für Erfolg“. Denn gerade die Zerstörung der eigenen Kultur und Lebensweise werfen viele Uiguren den chinesischen Behörden vor. „Den Uiguren muss ein wirtschaftliches und kulturelles Leben ermöglicht werden“, sagt Ilham Tohti, der mehr Respekt gegenüber der uigurischen Lebensweise fordert. Solange die Uiguren diesen nicht bekommen, wird Xinjiang wohl weiter als Unruhe-Provinz gelten – aller Wirtschaftsförderung zum Trotz. (mit AFP)

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