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Uiguren: In Urumqi herrscht spannungsgeladene Ruhe

Uiguren gegen Han-Chinesen - im Reich der Mitte gibt es ein großes Potenzial für ethnische Gewalt. Die Regierung in Peking geht mit einem Polizei-Großaufgebot gegen Demonstranten vor.

Frieden kann man den Zustand in Urumqi auch vier Tage nach den tödlichen Unruhen vom Sonntag nicht nennen. Tausende von Soldaten sind am Mittwoch in die westchinesische Stadt eingerückt. Der Volksplatz im Zentrum gleicht einem Exerzierfeld. Militärflugzeuge und Hubschrauber kreisen über der Stadt. Trotz der massiven Polizeipräsenz bricht sich die Gewalt immer wieder Bahn. Die Nerven liegen blank, eine Eisenstange ist schnell zur Hand. Selbst vor Kindern macht der Zorn nicht halt. Han-Chinesen fühlen sich von den Uiguren tödlich bedroht; die Uiguren wiederum fürchten sich vor den Chinesen. Der Chef der Kommunistischen Partei in der Provinz Xinjiang erklärte, die Regierung werde die Verantwortlichen für die jüngsten Unruhen hinrichten lassen.

Tagelang versuchte Chinas Führung, die Krise in der Provinz Xinjiang herunterzuspielen. In den Nachrichten im Staatsfernsehen rangierten die Ereignisse in Urumqi nur an dritter Stelle. Wichtiger war das staatsmännische Auftreten des Präsidenten Hu Jintao bei seiner Visite in Italien. Doch am Mittwoch sagte Hu seine Teilnahme am G-8-Gipfel ab und eilte zurück nach China. Hu schätzt die Lage in Urumqi genauso ein wie der Parteichef von Xinjiang, Wang Lequan. „Dieser Kampf“, erklärte der am Mittwoch, „ist noch lange nicht vorbei“.

Zwar haben die Sicherheitskräfte in Urumqi inzwischen für allerdings spannungsgeladene Ruhe gesorgt. Eine vertrauensvolle Atmosphäre zwischen den Volksgruppen können sie aber nicht erzwingen. Die Beziehungen zwischen den Volksgruppen in China – und nicht nur in Xinjiang – sind so leicht entflammbar, dass sich das Land noch lange mit Konflikten wie dem in Urumqi wird herumschlagen müssen.

Peking ist dagegen zwar nicht gänzlich machtlos. Aber das Problem sitzt zu tief, als dass es mit einem politischen Kurswechsel und etwas mehr kultureller Autonomie aus der Welt zu schaffen wäre. Selbst wenn die kommunistische Partei es wollte, sie wäre nicht in der Lage, den alltäglichen Chauvinismus vieler Han-Chinesen gegenüber den ethischen Minderheiten per Dekret abzustellen.

Nichts illustriert die von gegenseitigem Misstrauen geprägte Atmosphäre besser als der Auslöser für die Gewalt in Xinjiang. Bei den Protesten am Sonntag forderten die Demonstranten die Aufklärung des Mordes an zwei uigurischen Arbeitern Ende Juni im südchinesischen Schaoguan. Damals machte in der Stadt das Gerücht die Runde, zwei Chinesinnen seien von uigurischen Arbeitern in der Stadt vergewaltigt worden. Die Anschuldigungen lösten Prügeleien zwischen Han-Chinesen und Uiguren aus, bei denen mehrere uigurische Wanderarbeiter totgeschlagen wurden.

Ein haltloses Gerücht war genug, um tödliche Ausschreitungen gegen die „Gastarbeiter“ aus dem fernen Xinjiang loszutreten. Es gibt in China also reichlich Potenzial für ethnische Gewalt. Der wichtigste Grund dafür ist, dass der chinesische Staat und die überwältigende Mehrheit seiner Bürger die ethnischen Minderheiten im Land als gleichberechtigte Chinesen nicht ganz ernst nehmen. Offiziell ist China zwar ein Vielvölkerstaat. In Wirklichkeit ist es in erster Linie das Land der Han-Chinesen – auch in den Regionen, in denen die sogenannten Minderheiten in der Mehrheit sind. Die Folge ist, dass es für alle Ethnien in der Volksrepublik nur einen Weg zu Fortschritt und Prosperität gibt – und den geben die Han- Chinesen vor. Wer mitmachen will, hat sich in Sprache, Bildungskanon und Verhalten anzupassen. Alle anderen Kulturen im Land sind mit Hinblick auf eine Teilhabe am chinesischen Aufschwung Sackgassen und taugen allenfalls zu dekorativen Zwecken. Diese Situation hat die chinesische Regierung bis jetzt billigend in Kauf genommen. Der Grund dafür ist eine Mischung aus Han-chinesischem Chauvinismus, gut gemeinter Bevormundung und imperialem Anspruch. Wenn sich daran nichts ändert, besteht die Gefahr, dass Xinjiang sich mittelfristig zum chinesischen Gazastreifen entwickelt. Bis jetzt gibt die Partei sich wenig Mühe, zu schlichten.

Justus Krüger[Hongkong]

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