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Uiguren-Provinz: "Sie haben unsere Männer einfach mitgenommen"

Hunderte Frauen demonstrierten gegen Verhaftungen ihrer Männer in der chinesischen Uiguren-Provinz. Die gewalttätigen Unruhen nehmen kein Ende.

Xinjiang kommt nicht zur Ruhe. Nach dem Blutbad am Sonntag zogen am Dienstag mit Knüppeln und Steinen bewaffnete Han-Chinesen durch die Straßen der Provinzhauptstadt Urumqi und plünderten uigurische Geschäfte. Ihr Motiv war Rache für die Gewalt am Sonntag, für die sie die Uiguren in der Stadt verantwortlich machen. Etwa 300 mit Spaten, Hacken und Eisenstangen ausgerüstete Randalierer versammelten sich und näherten sich johlend einer Moschee, bis die Polizei Tränengas in die Menge feuerte. Gleichzeitig kam es zu Zusammenstößen zwischen Uiguren und chinesischen Sicherheitskräften. Die meisten Demonstranten waren Frauen, die gegen die Verhaftung ihrer Männer, Brüder und Söhne protestierten. Die Polizei habe in den uigurisch bewohnten Stadtvierteln wahllos junge Männer festgenommen, klagte eine Demonstrantin. „Sie haben unsere Männer einfach mitgenommen, ohne auch nur zu sagen warum.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will am Rande des G-8-Gipfels in Italien bei einem Treffen mit Chinas Staatschef Hu Jintao die Unruhen ansprechen. Die Rechte der Minderheiten müssten gewährleistet werden, sagte Merkel.

Insgesamt wurden seit Sonntag knapp 1500 Menschen verhaftet. Die Zahl der Todesopfer ist nach den Krawallen am Sonntag weiter auf nunmehr 156 gestiegen; mehr als 1000 Menschen wurden verletzt, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua.

Es ist noch immer unklar, warum die Proteste so viele Todesopfer forderten. Die staatlichen Medien machen die Demonstranten für die Gewalt verantwortlich; die meisten Todesopfer seien Han-Chinesen. Uigurischen Augenzeugen zufolge liegt die Schuld bei der Polizei, die Mehrheit der Toten seien Uiguren. Eine neutrale Darstellung gibt es nicht. Verdächtig ist immerhin, dass die chinesischen Behörden bis jetzt nicht bekannt gaben, wer die Toten sind – obwohl sie doch so ihre Schuldzuweisungen leicht glaubhafter machen könnten.

„Als wir die Proteste planten, war für uns klar, dass es friedlich zugehen sollte“, sagt einer der uigurischen Organisatoren, der nicht namentlich genannt werden will. Die chinesische Polizei habe für die Eskalation der Gewalt gesorgt. „Sie haben auf die Demonstranten eingeschlagen und sogar die Frauen verprügelt“, so ein Augenzeuge. „Dann haben sie die Leute durch die Straßen gejagt und einen nach dem anderen einkassiert.“ Schließlich habe die Polizei das Feuer auf die Menschenmenge eröffnet. Das sei der Moment gewesen, in dem die Proteste völlig außer Kontrolle gerieten. In den chinesischen Medien findet sich von solchen Darstellungen keine Spur. Dort ist stattdessen von den Ausschreitungen uigurischer Randalierer zu hören. „Sie haben auf offener Straße Han-Chinesen ermordet“, zitierte das Staats-TV eine Geschäftsfrau.

Ähnlich wie bei den Unruhen in Tibet im März vergangenen Jahres steht damit nun wieder Aussage gegen Aussage. Allerdings verhält sich das offizielle China dieses Mal deutlich geschickter als vor einem Jahr. So veröffentlicht die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua mehr englischsprachige als chinesische Berichte über die Unruhen, ohne Zweifel ein Versuch, die Deutungshoheit in der ausländischen Presse an sich zu ziehen. Aus demselben Grund lud gestern das staatliche Informationsamt ausländische Journalisten in Peking nach Urumqi ein. Dort konnten sie an einer beaufsichtigten und sorgsam durchgeplanten Tour durch die Stadt teilnehmen, die sie von der amtlichen Version der Ereignisse überzeugen sollte. Der Wahrheit über die Ereignisse am Sonntag kommt man so sicher kaum näher. Eines immerhin bringen die gegensätzlichen Darstellungen doch angemessen zum Ausdruck: Das tiefe Misstrauen zwischen den Volksgruppen in Xinjiang, das in Krisenzeiten schnell auf ganz China übergreift.

Justus Krüger[Hongkong]

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