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Barrikaden prorussischer Demonstranten in der ukrainischen Stadt Donezk

© Reuters

Ukraine: Angst vor dem russischen Angriff

Keine zehn Meter von der ukrainischen Grenzstation Uspenka liegt Russland. Vor Ort wächst die Nervosität. Kiews Soldaten heben Gräben aus, Reisende werden genau kontrolliert. Doch für die Bewohner der Region scheint der Alltag seinen normalen Gang zu gehen.

Die ukrainische Grenze wird zurzeit zusätzlich gesichert, Bagger heben metertiefe Gräben aus. Kilometerweit ziehen sich die frisch ausgehobenen Erdhaufen durch die Landschaft. Die schweren Maschinen und die Arbeiter soll nach deren Auskunft der Gouverneur von Donezk Sergeij Taruta aus eigener Tasche zahlen. Grenzsoldat Nikolai Martunenko darf eigentlich keine Auskunft geben, er ist besorgt, wenn Fremde vorbeischauen, Fragen stellen und auch Fotos machen wollen. Keine zehn Meter von seinem Arbeitsplatz entfernt, der Grenzstation Uspenka, liegt Russland. Ein schneeweißer Pfahl mit russischer Fahne und der Aufschrift Rossija grüßt stumm von der anderen Straßenseite. Dort sind kaum russische Zollbeamte zu sehen, die Männer sitzen in ihren Wärterhäuschen und kontrollieren die Papiere der wenigen Leute, die von der russischen Seite in die Ukraine einreisen wollen.

"Wir sind bereit zu kämpfen"

Martunenko und seine Mitarbeiter werden von Soldaten der ukrainischen Armee unterstützt, die automatische Waffen tragen. Paarweise stehen sie an massiven Befestigungsanlagen, zentnerschweren Betonpollern.

Keine zehn Kilometer von der Grenzstation entfernt liegt das Dorf Nowi Swest. Hinter ehemaligen Gebäuden der zu Sowjetzeiten erbauten LPG haben rund 400 Soldaten einer Einheit aus Tscherkassy Orschanets aus der Zentralukraine ihr Lager aufgeschlagen. Mitte März kamen die ersten, nun leben die Soldaten in Zehn-Mann-Zelten.

Oberleutnant Vasiliy Polewoy berichtet vom Alltag. Sie hätten beobachtet, wie russische Aufklärungsflugzeuge bei gutem Wetter die Gegend abfliegen. Nachts seien schon mehrfach Männer in Zivilkleidung bis auf wenige Meter an das Camp herangekommen. Man sei beunruhigt und wisse nicht, ob es Leute von der russischen Seite seien oder ob sie von den Separatisten geschickt würden. Am Mittwoch wurden Fahrzeuge der ukrainischen Armee, die auf dem Weg zur Grenze waren, von Separatisten attackiert. Auf Aufnahmen, die der NGO-Aktivist Andrej Drevitski zeigt, ist zu sehen wie eine Gruppe von Autos immer wieder versucht, sich in eine Kolonne von Militärfahrzeugen einzufädeln. "Das sind Provokationen", sagt Polewoy, seine Männer würden sich aber davon nicht aus der Ruhe bringen lassen. "Wir haben die Aufgabe die Grenze zu verteidigen", sagt er und "ja, die Männer sind bereit zu kämpfen, wenn sie angegriffen werden".

In dieser Gegend scheint Europa weit weg

Die Nervosität vor einem Angriff ist bei den Grenztruppen spürbar, auch unter den Soldaten, die ihr Camp in der verlassenen LPG aufgeschlagen haben und ihre Militärfahrzeuge in den Garagen warten, in denen zu Sowjetzeiten Traktoren repariert oder aufgetankt wurden. Doch für die Bewohner der Region scheint der Alltag in der schwachbesiedelten Grenzregion seinen normalen Gang zu gehen. Die Hauptstraße, eine Buckelpiste voller Löcher, führt vorbei an kleinen Dörfern. Fußwege gibt es nicht, Trampelpfade entlang der Straße müssen reichen. Geduckt stehen einfache Häuschen hinter Holzzäunen. Viele der einstöckigen Gebäude sind in einem erbärmlichen Zustand. In den Vorgärten stehen Ziegen oder eine Kuh, etliche der Häuser haben keinen Strom- und Gasanschluss, andere sind verlassen und verfallen. Hier sieht die Ukraine eher wie ein Land in der so genannten dritten Welt aus und nicht wie ein Teil Europas.

Im Dorf "Charzist" kommt die Rentnerin Ludmilla mit ihrer Enkelin Viktoria vorbei. Die Großmutter des Mädchens mit den gelben Schleifen im Haar ist erst Mitte Sechzig, sieht aber um viele Jahre älter aus. Sie erzählt von einem entbehrungsreichen Alltag. "Glauben Sie mal nicht, hier würde ein Bus fahren", klagt sie. Wenn die bescheidene Rente reiche, könne sie hin und wieder eine Gasflasche kaufen, ansonsten heizen sie ihr Häuschen mit Holz. Der Sohn sei schon lange ohne Arbeit, früher hat er als Bergarbeiter gearbeitet. Was "in der Stadt vor sich geht, interessiert mich nicht, ich will meine Ruhe", sagt Ludmilla. Angst vor einem Angriff Russlands hat sie nicht. "Warum sollen die auf uns schießen, das sind schließlich unsere Brüder", sagt sie.

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