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Separatisten bei einem militärischen Wettbewerb in der Nähe von Donezk.

© AFP

Ukraine-Gipfel in Paris: Verbotene Raketenwerfer und umstrittene Wahlen

Angela Merkel und Francois Hollande beraten in Paris mit Petro Poroschenko und Wladimir Putin über das Abkommen von Minsk. Ein Überblick über den Friedensprozess in der Ukraine.

In der Ostukraine herrscht seit mehr als einem Jahr Krieg zwischen Separatisten, die von Russland weitgehend kontrolliert und mit Kämpfern und Waffen unterstützt werden, und der ukrainischen Armee. Das Minsker Abkommen vom 12. Februar soll einen Friedensprozess einleiten, darüber beraten an diesem Freitag in Paris die Präsidenten der Ukraine und Russlands, Petro Poroschenko und Wladimir Putin, gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gastgeber Francois Hollande. Wie kommt der Friedensprozess bisher voran? Ein Überblick.

Waffenruhe

Der erste und wichtigste Punkt des Minsker Abkommens ist eine Waffenruhe in den Gebieten um die ostukrainischen Städte Donezk und Luhansk. Offiziell sollte sie eigentlich ab dem 15. Februar gelten. Aber wie bereits nach der ersten Minsker Vereinbarung vom vergangenen Jahr wurde die Waffenruhe immer wieder verletzt. Zwar war die Lage an der so genannten „Kontaktlinie“ ruhiger als vor dem 15. Februar. Aber die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) registrierten fast täglich Kämpfe oder Angriffe mit Mörsergranaten. Deshalb gab es zum 1. September, pünktlich zum Schulbeginn in der Ukraine, einen weiteren Versuch, für den umkämpften Donbass endlich eine Waffenruhe zu erreichen.

Bisher scheint diese weitgehend zu halten, so ruhig wie in den vergangenen Wochen war es dort seit Kriegsbeginn nicht. Als einer der Gründe für diese Beruhigung in der Ostukraine gilt Moskaus militärisches Engagement in Syrien. Der Separatistenführer Andrej Purgin, der das Minsker Abkommen und besonders die Waffenruhe kategorisch ablehnt, wurde im September abgesetzt.  

Abzug der Waffen

Sobald das Feuer in der Ostukraine eingestellt worden ist, sollten beide Seiten gemäß der Vereinbarung von Minsk mit dem Abzug schwerer Waffen beginnen. Um die ehemalige Frontlinie soll eine Pufferzone entstehen, die mindestens 50 Kilometer breit ist. Dies sollte eigentlich 14 Tage nach dem Beginn der Waffenruhe abgeschlossen sein. Tatsächlich zogen beide Seiten einige Waffen aus dem Kampfgebiet ab, doch die OSZE-Beobachter berichteten immer wieder, dass schwere Artillerie nicht nur in der Pufferzone gesehen wurde, sondern auch zum Einsatz kam. Bis heute ist der Abzug nicht abgeschlossen.

Am Freitag berichtete der stellvertretende Leiter der Beobachtermission, Alexander Hug, dass im Separatistengebiet ein modernes russisches Raketenwerfersystem stationiert sei. Die Experten entdeckten erstmals ein Waffensystem vom Typ „Buratino“, das nur in Russland gebaut wird und über das die ukrainische Armee nicht verfügt, auf einem Übungsgelände der Separatisten. Mit thermobarischen Sprengköpfen kann der Raketenwerfer ganze Häuserblöcke in Schutt und Asche legen. Die russische Armee soll dieses Waffensystem in Grosny eingesetzt haben. Die Entdeckung der Beobachter nannte Hug „Besorgnis erregend“.

Bereits am Mittwoch stellten die OSZE-Beobachter mit Hilfe einer Überwachungsdrohne fest, dass es auf dem Gebiet der selbsterklärten „Volksrepublik Donezk“ eine „Ansammlung schwerer Waffen“ gebe. Die Experten entdeckten auf den Aufnahmen der Drohne insgesamt 20 Kampfpanzer. Außerdem besuchten die Beobachter mehrere Einrichtungen, in denen die ukrainische Armee die abgezogenen Waffen lagert. Mehrere schwere Geschütze und mehrere Raketenwerfer seien aus diesen Lagern „verschwunden“, konstatierten die Beobachter am Mittwoch.

Der Abzug anderer Waffen wurde im Minsker Abkommen nicht geregelt. Die Ukraine-Kontaktgruppe, in der Kiew, Moskau und die OSZE vertreten sind, verständigte sich daher am vergangenen Mittwoch in Minsk auf den Rückzug von Geschützen mit einem Kaliber bis zu 100 Millimeter.

Politischer Prozess

In vier Arbeitsgruppen zu den Themen Sicherheit, Politik, Wirtschaft und Humanitäres wird unter Vermittlung der OSZE seit Monaten über die wichtigsten Probleme in einem möglichen Friedensprozess beraten. Als besonders heikel gilt die Vorbereitung der Kommunalwahlen.

Die Separatisten wollen sich nicht an den landesweiten Lokalwahlen am 25. Oktober beteiligen, sondern planen für den 18. Oktober ihre eigene Abstimmung, was als erster Schritt zu einer de-facto-Loslösung der von ihnen kontrollierten Gebiete verstanden werden könnte. Das wäre ein Bruch des Minsker Abkommens, das Wahlen nach ukrainischem Recht und unter internationaler Aufsicht vorsieht, und zugleich ein schwerer Rückschlag für die Bemühungen um Frieden in der Ostukraine. Daher wurde hinter den Kulissen vor dem Minsker Gipfel daran gearbeitet, die Separatisten zum Verzicht auf den eigenen Wahltermin zu überreden.

Die Separatistengebiete sollen zudem mit einer Verfassungsreform Sonderrechte erhalten, auch das ist eine Forderung aus dem Abkommen vom Februar. Die ukrainische Führung hat die Reform bereits ins Parlament eingebracht, die USA und die Europäer hatten Kiew zuvor zur vollständigen Umsetzung des Minsker Abkommens gedrängt. Als die Abgeordneten in Kiew die innenpolitisch hoch umstrittene Verfassungsänderung in erster Lesung verabschiedeten, kam es vor dem Parlamentsgebäude zu schweren Ausschreitungen, an denen vor allem Ultrarechte und Nationalisten beteiligt waren. Drei Sicherheitskräfte wurden getötet und mehr als 140 verletzt.

 Humanitäre Lage

Den Menschen in der Ostukraine müsse Zugang zu humanitärer Hilfe gewährt werden, und zwar im Einklang mit internationalen Standards, heißt es im Abkommen von Minsk. Doch die Separatisten der selbsterklärten „Volksrepublik Luhansk“ setzten im September internationale Hilfsorganisationen vor die Tür. Sie mussten ihre Arbeit einstellen und Luhansk bis zum 25. September verlassen. Von dem Verbot betroffen sind auch die Vereinten Nationen und Ärzte ohne Grenzen, als einzige Organisation durfte das Internationale Rote Kreuz weiterarbeiten.

„Das ist eine Verletzung internationalen humanitären Rechts“, kritisierten die Botschafter Deutschlands, Großbritanniens, der Schweiz, Schwedens und der USA umgehend in einer gemeinsamen Erklärung. Fast alle humanitären Programme in Donezk und Luhansk seien eingestellt, dadurch seien „Leben in Gefahr“, warnten die Botschafter. 16.000 Tonnen Hilfsgüter könnten nicht mehr zu den Menschen im Donbass gelangen. „Dies hat schwerwiegende Auswirkungen für etwa drei Millionen Menschen, und der Winter kommt.“

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