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Der Altpräsident der Dachorganisation der Krimtataren, Mustafa Dschemilew.

© dpa

Ukraine-Krise: Krimtataren gehen auf Kollisionskurs zu Moskau

Der Altpräsident der Krimtataren, Mustafa Dschemilew, darf nicht auf der Schwarzmeerhalbinsel einreisen. Damit begibt sich Russlands Präsident Wladimir Putin auf Konfliktkurs zu der Minderheit.

Die Staatsanwaltschaft der Krim hat von der Ermittlungsbehörde bei der Generalstaatsanwaltschaft in Moskau die Einleitung eines Strafverfahrens gegen die Meclis – die Dachorganisation der Krimtataren – wegen Anstiftung zu Massenunruhen und Widerstand gegen die Staatsgewalt gefordert. Ein solches Verfahren könnte mit einem Verbot und der Auflösung der Meclis sowie hohen Haftstrafen für deren Führer enden.
Es ist der erste handfeste Konflikt zwischen den Krimtataren und der Zentralregierung in Moskau, die offenbar auf Rache sinnt. Die Meclis hatte dazu aufgerufen, das Referendum im März über den Beitritt der Krim zu Russland zu boykottieren. Rund 14 Prozent der Bevölkerung auf der Schwarzmeerhalbinsel sind Krimtataren.
Den unmittelbaren Anlass für den Strafantrag der Krim-Staatsanwaltschaft lieferte eine Menschenkette vom vergangenen Wochenende. 3000 Tataren hatten versucht, dem als Nationalhelden verehrten Altpräsidenten der Meclis, Mustafa Dschemilew, die Rückkehr auf die Krim zu ermöglichen. Gegen ihn hatte Russland Ende April ein fünfjähriges Einreiseverbot verhängt. Ein entsprechendes Dokument – ohne Stempel und Unterschrift – händigten ihm die pro-russischen Selbstschutzkräfte auf dem Flughafen der Krim-Hauptstadt Simferopol aus. Offizielle Stellen in Moskau wollten damit zunächst nichts zu tun haben und machten die Krimregierung dafür verantwortlich. Doch eine Rücknahme konnte Dschemilew, der die neue Führung in Kiew unterstützt und Russland die Okkupation der Halbinsel vorhält, nicht einmal bei seinem Moskau-Aufenthalt erwirken. Allerdings hat ihm inzwischen der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan Unterstützung zugesagt. Und Sergei Mitrochin, der Chef der sozialliberalen Jabloko-Partei, hetzte Generalstaatsanwalt Juri Tschaika auf den Fall. Die Einreisesperre verstoße gegen das Recht auf Bewegungsfreiheit, das die Verfassung allen Bürgern Russlands – und das sind inzwischen auch die Krimbewohner – garantiert.
Sollte der Druck wachsen, würden die Krimtataren ihrem Unmut nicht nur mit friedlichen Mittel Luft machen, warnte Dschemilew auf einer Pressekonferenz in Moskau. Zu neuen Zusammenstößen mit Ordnungskräften könnte es schon am 18. Mai kommen. Dann jährt sich zum 70. Mal der Tag, an dem Stalin die Volksgruppe wegen angeblicher Kollaboration mit der Wehrmacht kollektiv nach Zentralasien deportieren ließ. Zurückkehren konnten die Krimtataren erst nach dem Ende der Sowjetunion 1991.
Zwar rehabilitierte Russlands Präsident Wladimir Putin die Krimtataren gleich nach dem Russland-Beitritt der Krim, brachte sie mit Einreiseverbot für Dschemilew aber erneut gegen sich auf. Auch ein Verbot der Meclis, warnte deren Pressesprecherin Lilija Muslimowa, werde für Moskau keine Entlastung bringen. Wenn die Immobilen der Organisation beschlagnahmt und die Führer verhaftet werden, werde man neue wählen und den Widerstand gegen die Besatzung von Privatquartieren „halblegal oder in der Illegalität fortsetzen“, sagte sie.

Die Hauptgefahr sei ohnehin nicht das Verbot der Meclis, sondern Versuche, sie zu spalten, erklärte die Sprecherin weiter. Moskau, aber auch der inzwischen abgesetzte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch würden seit 2010 versuchen, Wolga-Tataren aus Russland auf Führungspositionen in der Meclis zu hieven und diese dadurch auf Kurs zu trimmen. Auch bei der Integration der Krim hat Moskau der russischen Teilrepublik Tatarstan eine tragende Rolle zugedacht.

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