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Bei der Stadt Slowjansk hat die ukrainische Armee Barrikaden prorussischer Aktivisten angegriffen.

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Update

Ukraine-Krise: Moskau: USA muss Kiew zu Ende von „Anti-Terror-Operation“ zwingen

Die Übergangsregierung in Kiew hat den Militäreinsatz gegen prorussische Milizen in der Ostukraine wieder aufgenommen. Putin droht mit „Konsequenzen“ und kündigt neue Manöver an. Russland fordert nun die USA auf, den Konflikt in der Ukraine zu befrieden.

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Im Ukraine-Konflikt hat Russland die USA mit Nachdruck aufgefordert, die Führung in Kiew zu einem sofortigen Stopp der „Anti-Terror-Operation“ gegen Separatisten zu bringen. „Washington muss die Übergangsregierung in Kiew zwingen, ihre Militäreinsätze im Südosten des Landes einzustellen und die Streitkräfte in die Kasernen zurückzuholen“, teilte das Außenministerium in Moskau mit.

Die „unüberlegten Schritte“ der Führung in Kiew würden die frühere Sowjetrepublik immer tiefer in einen Strudel reißen. Die USA hätten bisher „nichts getan“ für eine Lösung des Konflikts, kritisierte das Ministerium am Donnerstagabend. Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin appellierte unterdessen an Generalsekretär Ban Ki Moon, die „Gewalt der ukrainischen Behörden gegen die eigene Bevölkerung“ öffentlich anzuprangern. Im „Notfall“ könnte Russland den Einsatz von „Friedensstiftern“ in der Ukraine beschließen, sagte Tschurkin. Dies wäre ein „vom UN-Recht gedeckter Fall von Selbstverteidigung wie im Georgienkonflikt“ 2008, behauptete der UN-Botschafter. Er wiederholte damit eine Position, die andere Moskauer Politiker bereits geäußert hatten.

Putin kündigte weitere russische Manöver an

Mit scharfen Drohungen hat Russland auf das militärische Vorgehen der ukrainischen Übergangsregierung gegen prorussische Separatisten im Osten des Landes reagiert. Moskau kündigte ein groß angelegtes Militärmanöver an der Grenze zur Ukraine an. Präsident Wladimir Putin verurteilte die Aktion der Sicherheitskräfte, bei der es Tote und Verletzte gegeben hatte. Wenn das Regime in Kiew die Armee gegen die Bevölkerung des Landes einsetze, sei dies „ein sehr ernstes Verbrechen“, sagte er. Die Operation werde „Konsequenzen“ für die Machthaber in Kiew und für die Beziehungen des Landes zu Russland haben.

Damit nährte Putin Befürchtungen, Moskau könne den Schutz russischer Bürger zum Vorwand für ein militärisches Eingreifen in der Ostukraine nehmen. Schon am Mittwoch hatte Außenminister Sergej Lawrow indirekt mit einer Militäraktion im Nachbarland gedroht. Die Nato hielt der Kreml-Führung daraufhin „zündelnde Rhetorik“ vor. Das Innenministerium in Kiew teilte mit, im Zuge einer „Anti-Terror-Operation“ seien in der von prorussischen Kräften kontrollierten Stadt Slawjansk bis zu fünf moskautreue Separatisten getötet worden. Regierungstruppen gingen dort mit Panzerfahrzeugen gegen die moskautreuen Uniformierten vor.

Der Militäreinsatz der Übergangsregierung und die russische Reaktion darauf schmälern die Chancen auf eine politische Lösung des Konflikts nach den Vorgaben der Genfer Vereinbarung weiter. Darin hatten sich die Ukraine, Russland und die EU vergangene Woche verpflichtet, jegliche Gewaltanwendung, Einschüchterungen und Provokationen zu unterlassen und illegale bewaffnete Gruppen zu entwaffnen. US-Präsident Barack Obama warf Russland einen Verstoß gegen das Abkommen vor.

Russland habe auf die verstärkte Nato-Militärpräsenz reagieren müssen

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu begründete die Manöver mit dem Einsatz der Kiewer Regierung gegen die „friedliche Bevölkerung“ in der Ukraine. Wenn die „Kriegsmaschine“ nicht gestoppt werde, „wird dies zu einer großen Zahl Toter und Verletzter führen“, sagte er. Moskau habe zudem auf die verstärkte Nato-Militärpräsenz in Polen und im Baltikum reagieren müssen.

Deutsche Außenpolitiker reagierten besorgt auf die russischen Drohungen. „Es wäre töricht, solche Äußerungen nicht ernst zu nehmen“, sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder (CDU), dem Tagesspiegel. Die Situation berge „großes Eskalationspotenzial“. Dennoch setze er „mehr auf Worte und Diplomatie denn auf Waffen“. SPD-Vizefraktionschef Rolf Mützenich nannte die Entwicklung „sehr beunruhigend“. Leider gebe „es zu viele, die an einer Eskalation auf Kosten der Sicherheit und der Zivilisten ein Interesse haben“, warnte er. Die Ziele der Vereinbarung von Genf, die Drohungen und Gewaltanwendung verbiete, seien weiterhin gültig. Mützenich forderte, die Zahl der OSZE-Beobachter schnell aufzustocken. Wegen des Konflikts um die Ukraine genehmigt die Bundesregierung derzeit keine Rüstungsexporte nach Russland. Das geht aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Grünen-Anfrage hervor.

Ein Militäreinsatz, ein ermordeter Politiker, ein entführter Journalist: Wie sich die Lage in der Ost-Ukraine entwickelt

Wache stehen vor einer besetzten Behörde in Slowjansk. Kiewer Truppen versuchten am Donnerstag die Rückeroberung der von Pro-Russen gehaltenen Stadt.
Wache stehen vor einer besetzten Behörde in Slowjansk. Kiewer Truppen versuchten am Donnerstag die Rückeroberung der von Pro-Russen gehaltenen Stadt.

© AFP

Am frühen Morgen, kurz nach Sonnenaufgang gegen fünf Uhr Ortszeit, wurden die Bewohner der ostukrainischen Stadt Artemiwsk vom Lärm der Militärhubschrauber aus dem Schlaf gerissen. Die 77 000 Einwohner der Stadt, berühmt vor allem wegen ihres Krimsekts, der dort aus Weinen der Halbinsel produziert wird, wurden Zeugen des Militäreinsatzes, den die Übergangsregierung in Kiew am Dienstag wieder aufgenommen hat. Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums konnte in Artemiwsk ein von prorussischen Rebellen besetzter Armeestützpunkt des ukrainischen Militärs zurückerobert werden. In dem Lager sollen massenhaft Waffen lagern, mit denen die Militär- und Polizeieinheiten der Region Donezk versorgt werden. Wie viele Verletzte oder gar Tote der Einsatz gekostet hat, blieb unklar.

In der seit dem 13. April besetzten Stadt Slowjansk kam es am Morgen ebenfalls zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Soldaten der ukrainischen Armee und den Besetzern. Das Innenministerium rief am Mittag alle 118 000 Bewohner der Stadt auf, zu Hause zu bleiben. Ukrainische Truppen haben im Laufe des Tages mehrere Kontrollpunkte beschossen und zurückerobert, die von prorussischen Milizen errichtet und kontrolliert wurden. Bei den Aktionen sollen nach offiziellen Angaben fünf Menschen getötet worden sein. Die Toten werden von den ukrainischen Behörden als „Aufständische“ bezeichnet. Lokale Internetmedien berichten, dass über Slowjansk mehrere Hubschrauber zu sehen seien, „es sieht so aus und hört sich so an, als sei Krieg“, schreibt das Portal Ostrow.org.

Der ermordete Politiker Rybak wurde beigesetzt

Der ermordete Lokalpolitiker Wolodymir Rybak, der der Regierungspartei Vaterland angehört hatte, ist am Donnerstag in seiner Heimatstadt Gorliwka beigesetzt worden. Der ukrainische Geheimdienst veröffentlichte ein Video, aus dem hervorgehen soll, dass der russische Geheimdienst an der Entführung und Ermordung Rybaks beteiligt war, dessen Leiche mit schweren Folterspuren bereits am Samstag entdeckt worden war. Der erste Teil des Videos soll ein Gespräch des russischen Oberstleutnants Igor Bezlier dokumentieren, wie er einem Untergebenen Anweisung erteilt, Rybak die Hände auf den Rücken zu binden und ihm die Augen abzudecken. Der zweite Teil des Videos soll die Stimme des russischen Geheimdienst-Obersts Igor Strelkow wiedergeben, wie er den selbst ernannten Bürgermeister von Slowjansk, Wjatscheslaw Ponomarow, anruft und den Rebellenchef auffordert, den Leichnam des Politikers abzuholen „weil der bereits zu stinken anfängt“. Der ukrainische Geheimdienst geht davon aus, dass Strelkow die Pro-Russen in der Ostukraine koordiniert, Auftraggeber sei der Kreml.

US-Reporter Ostrovsky in Ost-Ukraine ist frei

US-Reporter Simon Ostrovsky vor seiner Entführung bei der Arbeit vor dem Rathaus von Slawjansk am 21. April.
US-Reporter Simon Ostrovsky vor seiner Entführung bei der Arbeit vor dem Rathaus von Slawjansk am 21. April.

© AFP

Die Arbeit der Medien wird von Tag zu Tag komplizierter. Die Vertreter der selbst ernannten „Republik Donezk“ haben in dem seit Anfang April besetzten Gebäude der Regionalverwaltung in der Stadt Donezk ausländischen Journalisten die Teilnahme an einer Pressekonferenz verwehrt. Lediglich die Vertreter von sechs russischen TV-Kanälen und dem Team des chinesischen Staatsfernsehens wurden eingelassen. In der Ost-Ukraine ist der von prorussischen Aktivisten festgehaltene US-Reporter Simon Ostrovsky nach drei Tagen wieder auf freiem Fuß. Er sei am Nachmittag freigelassen worden, sagte Ostrovsky am Donnerstag telefonisch aus der Stadt Donezk der Nachrichtenagentur dpa. Es sei zu früh, um über die Umstände seiner Freilassung zu sprechen, sagte der Journalist des US-Magazins „Vice“. Er war am Montag in der Stadt Slawjansk, die von moskautreuen Aktivisten kontrolliert wird, in Gewahrsam genommen worden. Der „Volksbürgermeister“ Wjatscheslaw Ponomarjow hatte Ostrovsky als Faustpfand bezeichnet.

Die Wahlkommission in Donezk kann nicht wie gewohnt arbeiten

Die beiden Präsidentschaftskandidaten, der in Umfragen führende Petro Poroschenko und die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, sind heute zu Wahlkampfkundgebungen in Lugansk. Dort wird das Gebäude des Geheimdienstes seit Wochen von Milizen besetzt, an vielen Straßen wurden Kontrollpunkte errichtet, teils von prorussischen, teils von proukrainischen Gruppen. Die Kandidaten werben trotz der Krise um die Stimmen der Menschen. Die Zentrale Wahlkommission in Kiew hat heute noch einmal bekräftigt, dass die Präsidentschaftswahlen auf jeden Fall am 25. Mai 2014 stattfinden werden.

Allerdings könnten, so die Wahlkommission weiter, in Donezk die Vorbereitungen nicht wie gewohnt starten, weil unter anderem die Regionalverwaltung in den Händen prorussischer Kräfte ist. In dem besetzten Gebäude befindet sich auch die Wahlkommission der Region Donezk, die mit ihren 4,3 Millionen Einwohnern eines der bevölkerungsreichsten Gebiete der Ukraine ist. In den anderen Unruhe-Provinzen Charkiw, Lugansk, Dnipropetrowsk und Saporischschja leben zusammen noch einmal zehn Millionen Menschen. Insgesamt leben 45 Millionen Menschen in der Ukraine. Sollten die Auseinandersetzungen weiter andauern oder an Schärfe sogar noch zunehmen, könnte die Wahl gefährdet sein. (mit AFP/dpa)

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